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Hugo Ball nacque a Pirmasens (Renania-Palatinato) il
22 febbraio 1886 e morì a Sant’Abbondio (oggi Gentilino) il 14 settembre
1927, all’età di 41 anni. Il saggio che segue fa parte della
Bibliografia su Carl Schmitt ed apparve in Hochland, 1924, Juniheft, p.
263-286. Fece le scuole secondarie a Zweibrücken, studiò a Monaco,
Heidelberg e Basilea. Di formazione pietista, poi convertitosi al
cattolicesimo, Ball fu lettore di Friedrich Nietzsche. Visse a Berlino.
Emigrò in Svizzera nel 1915. Fu tra i fondatori del dadaismo e svolse
come giornalista attività di critica culturale e politica. Il suo
articolo sulla teologia politica di Carl Schmitt sarà poi ripreso dai
nazisti per un attacco a Schmitt nel gennaio 1937 dall’Ufficio di Alfred
Rosenberg, preposto alla sorverglianza sull’ortodossia ideologica di
ogni funzionario del regime, specialmente se accademico. Hugo Ball è da
annoverare fra gli amici più intimi di Carl Schmitt insieme con altri
importanti scrittori come Ernst Jünger e Robert Musil. Dalla Biografia
di Bendersky: «Per un breve periodo Schmitt intrattenne rapporti
amichevoli anche con Hugo Ball che, dadaista, in quel periodo era
cattolico. BalI fu così impressionato dalla prima lettura di un lavoro
di Schmitt che esclamò: “[. . .] nella sua qualità di pensatore
cattolico [questo giurista] è un novello Kant”. All’inizio dell'estate
del 1924, quando finalmente ebbe modo di conoscere questo suo
ammiratore, tra Schmitt e la famiglia di Ball nacque un rapporto molto
stretto: continuarono a scambiarsi lunghe lettere finché, nel 1925, i
legami si ruppero a causa di dissapori personali non meglio precisati,
anche se all’apice del suo entusiasmo Ball aveva pubblicato un lungo
articolo su Hochland, in cui aveva reso omaggio a Schmitt come difensore del cattolicesimo e della civiltà europea» (trad. it., p. 79).
Hochland. - Monatschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur und Kunst, 21. Jg. April 1924 – September 1924, Bd. 2, p. 261-286. Il testo è stato ripubblicato in: Jacob Taubes (Hrsg.), Der Fürst dieser Welt. Carl Schmitt und die Folgen, Ferdinand Schöningh – Wilhelm Fink Verlag, 1983, pp. 100-115.
Carl Schmitt fa parte di quei pochi intellettuali tedeschi che sanno
fronteggiare i rischi professionali di una cattedra dei nostri giorni. Ja ich stehe nicht an zu behaupten, daß er
den Typus des neuen deutschen Gelehrten überhaupt erst für sich erobert
und inauguriert hat.Wenn die Schriften dieses merkwürdigen Professors
(um nicht Konfessors zu sagen) nur dazu dienten, die katholische
(universale) Physiognomie ihres Verfassers erkennen und studieren zu
lassen, es würde vollauf genügen, ihnen einen überragenden Rang zu
sichern. Chesterton sagt einmal in einem schönen Essay „Von den
Idealen“, daß unserer verworrenen und argen Zeit zu ihrer Sanierung
keineswegs der große Praktiker nottut, nach dem alle Welt verlangt,
sondern der große Ideologe. « Ein Praktiker, das ist ein Mensch,
eingewohnt in die Alltagspraxis, in die Art, wie die Dinge gemeinhin
funktionieren. Wenn aber die Dinge nicht arbeiten, dann braucht man den
Denker, den Mann, der sowas wie eine Doktrin hat, warum die Dinge
überhaupt funktionieren. Es ist unrecht, zu geigen, während Rom brennt,
aber es ist ganz in der Ordnung, die Theorie der Hydraulik zu studieren,
während Rom brennt ». Carl Schmitt gehört zu denen, die „die Theorie
der Hydraulik studieren“; er ist mit seltener Überzeugung Ideologe; ja
man kann sagen, daß er diesem Wort, das unter Deutschen seit Bismarck
eine üble Bedeutung hat, wieder zu Ansehen verhelfen wird.
Was bezeichnet den Ideologen? Wie kommt er zustande? Er hat ein persönliches, fast ein privates System, dem er Dauer verleihen möchte. Er gruppiert alle Lebenstatsachen, gruppiert seine ganze Erfahrung um die eine Grundüberzeugung, daß Ideen das Leben beherrschen; daß das Leben niemals nach seinen Bedingungen, sondern nur nach freien, unbedingten, ja bedingenden Einsichten, eben nach Ideen, geordnet und aufgebaut werden kann. Die Exaltierung und Hartnäckigkeit dieser seiner Überzeugung macht die Größe des Ideologen aus. In einer Zeit, die das Nichts anbetet, indem sie die Ideologie bekämpft oder belächelt, in solcher Zeit wird der Ideologe genötigt sein, seine Basis zu prüfen. Er wird zum Politiker und schließlich zum Theologen werden, ehe er sich's versieht. Man könnte sagen, daß in der engelmacherischen Tendenz unserer Zeit ihre letzte Hoffnung beschlossen liegt. Wie dem auch sei: in Carl Schmitts Werk findet die Ideologie einen ihrer schärfsten und glühendsten Verteidiger. Sein Ausgangspunkt ist das Recht, die Rechtswissenschaft; er ist Professor der Rechte in Bonn. Seine ersten Schriften handeln von „Schuld und Schuldarten“ (1910), von „Gesetz und Urteil" (1912). Doch findet sich schon der Übergang zur politischen Philosophie („Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen“, 1914). Es gibt kein Recht außerhalb des Staates, und es gibt keinen Staat außerhalb des Rechts. Da kann es auch keine Gerechten geben, die nicht den Staat als die nächste Instanz der Idee anerkennen („Politische Romantik“, 1919, Duncker & Humblot, dort auch die späteren Schriften). In den späteren und letzten Schriften erweitert sich die Instanzenfrage zur Frage nach der letzten bestimmenden Autorität und Form, womit die juristische Interpretation einer „Politischen Theologie“ ihren Abschluß erfährt.
Das nun ist die Eigenart dieses Gelehrten: Das
Problem des Ideologen ist ihm nicht nur bewußt; er baut gerade aus
diesem Problem, aus diesem Erlebnis sein Werk in allen Bezügen und
Folgen auf. In der Gewissensform seiner Begabung erlebt er die Zeit.
Das gibt seinen Schriften ihre seltene Konsistenz; das gibt ihnen jene
universale Geschlossenheit, in der sie sich präsentieren. Er verfolgt
eine angeborene juristische Neigung, um nicht zu sagen seine formale
Gesinnung, bis in den letzten bedingenden Grund, mit einer
ungewöhnlichen Kraft der Dialektik und ebenso ungewöhnlicher
Sprachgewalt. Das Resultat zeigt eine Verflochtenheit der Rechtsfrage
mit allen soziologischen und ideologischen Instanzen. Man könnte auch
sagen: da ihm die Rechtsidee einmal verliehen ist, sucht er dem Faktum
Dauer zu verleihen, erhebt er die ihm verliehene Gabe zu ihrem höchsten
erreichbaren Wert. Er möchte die Rechtsidee nicht nur erkennen, sondern
womöglich sie repräsentieren, selbst sein. Das ist katholisch,
eschatologisch gedacht. Das führt ihn zu den Fragen der Diktatur und
Repräsentation, wie sie in seinen letzten Schriften behandelt sind.
Die Tendenz zum Absoluten, die ihn charakterisiert, ist jedoch keineswegs auf Abstrakta gerichtet, wie bei den großen Systembaumeistern des Barock und der Aufklärung, sondern konkret eingestellt. Sie führt auch in ihrer letzten Konsequenz nicht zu einer alles bedingenden Abstraktion, heiße sie Gott, Form, Autorität oder sonstwie, sondern zum Papste als der absoluten Person, der eine abermals konkrete Welt irrationaler, der logischen Erfassung weiter nicht zugänglicher Personen und Werte repräsentiert. Wie nur irgendein Kantianer geht Schmitt von apriorischen Begriffen, eben von seiner Rechtsideologie aus. Nur begnügt er sich nicht, diese seine Begriffe um ihrer selbst willen zu definieren und miteinander in Beziehung zu setzen. Sein Verfahren ist anders. Er sucht seine Rechtsbegriffe im gegebenen Staate und ferner in der Tradition nach ihren letzten Zusammenhängen, nach ihrer Vergesellschaftung mit allen anderen höheren Kategorien (Philosophie, Kunst, Theologie) progressiv zu ermitteln.
Als Soziologe, dem kein irgendwie belangvolles Detail des näheren oder entfernteren Lebens entgeht, fragt er überall nach der wirklichen Anwendung des Rechts, um so, den Tatsachen folgend, zu ihrer letzten bestimmenden Form zu gelangen. Er stellt keinen Idealstaat, keine Utopie auf; er läutet kein vorher zurechtgeklügeltes systematisches Glockenspiel. Das Gefüge der letzten Instanzen, das sich ihm schließlich enthüllt, ist ein Organismus, nicht eine Maschine; ein freischwebendes Planetarium, nicht eine oktroyierte Konstruktion. Die völlige Unsentimentalität dieses Werkes erweist sich darin, daß keinerlei Gefühlswerte, nicht einmal die höchsten, als Ausgangspunkt gelten. Die Moral beginnt mit gesicherten Rechsbegriffen; diese freilich umschließen in ihrer Vernunft alle höheren irrationalen Werte. Die Juristik, wie Schmitt sie interpretiert, ist die rationale Präsenzform der Ideen.
Vergleicht man Schmitts Werk mit dem seiner
Vorbilder, so tritt das unterscheidende Merkmal deutlich zutage. Bonald
und de Maistre sowohl wie Donoso Cortes gingen aus katholischen Nationen
hervor und aus einer Zeit, in der das ideologische Weltbild zwar in den
Grundfesten erschüttert, aber nicht zerbrochen und völlig verwüstet
war. Ihr Ausgangspunkt ist ein festes legales Gefüge, das bei Bonald und
de Maistre in der monarchistischen Restauration, bei Cortes in der
gegenreformatorischen Überlieferung seiner spanischen Heimat stark
lebendige Stützen findet. Der theologische Staat ist umstritten, aber
noch nicht zerstört; er erweist täglich noch seine vitale Kraft. Der
Gegensatz von Glaube und Wissen, in wie kritischen Formen immer,
beherrscht die Köpfe; hier aber und heute will der verlorene Glaube erst
wieder gefunden und erhoben werden. Die Scholastik und ihre
rationalistische Nachfolge vermochte Systeme zu bauen, die aus der
Allgegenwart eines Axioms geboren, alle Vielfalt der Argumente um eine
anerschütterte Achse gesammelt hielten. Seit die Verneinung indessen
auch in die Metaphysik eindrang, mit Proudhon und Bakunin, ist das
Zentrum der alten Legalität zertrümmert, und es gilt, die Einheit auf
neuen Wegen wiederzugewinnen. Der Verzicht auf die Autorität war das
Signum der letzten gepriesenen Philosophie unserer Zeit. Die Person
selbst ist dieser Philosophie zweifelhaft geworden, zweifelhaft der Sinn
und Wert irgendeines Bekennens. Omnipotent ist die Maschinerie; eine
dämonische Welt täuscht Leben und Ebenmaß vor, ohne auch nur eine Seele,
geschweige denn Geist oder gar eine Hieratik zu haben. Und so glossiert
das Genie, als Rebell oder Dandy gekleidet, den dumpfen Bankrott der
Kultur und empfindet sich als den Hort alles höheren Lebens.
In seinem Interesse für den Komplex der Romantik opfert auch Schmitt dieser Situation. Das Wesen des Genies reicht in die blinden, antinomistischen, triebhaften Gründe der Natur ebenso wie in die übervernünftige Sphäre der religiösen Welt. Die Loslösung von den Normen einer erstarrten Sozietät gibt den illegalen Instinkten sogar eine gewisse Vernunft. Der Todfeind der Romantik, als der Schmitt sich gelegentlich erweist, bekämpft in ihr die irrationale Gefahr seines eigenen schöpferischen Fonds, dessen Klärung seine Schriften sämtlich gewidmet scheinen. Der Charakter des Organischen, den diese Schriften zeigen, weist darauf hin. Schmitt ist Theologe und römischer Katholik keineswegs bereits bei seinem ersten Schritte. Sein Werk entfaltet sich unter Schmerzen nicht nur technischer Natur, in einem bunten Nacheinander von grimmiger Diatribe und objektiver Untersuchung, von definierendem Diktat und kunstvoller Apologie. Die Resultate sind schrittweise errungen aus Konsequenzen; ein Neben- und Übereinander der Stimmen begleitet die Konzeption. Eine gewisse Aphoristik weist auf Vereinsamung hin, doch von den Gefahren eines abseitigen Individualismus ist Schmitt durch eine Welt getrennt. Die soziale Natur der Rechtsbegriffe sichert ihm eine stete Verbundenheit mit der Norm, und so tritt klarer und schärfer mit jedem Werk die Grundform hervor, nach der das System sich entfaltet. Der irrationale Fond einer großen Persönlichkeit und ihrer Zeit wird aus den Naturfesseln sowohl wie aus der Ekstase völlig in den Begriff überführt.
„Politische Romantik” ist die erste Schrift, mit der
Schmitt vor einem Publikum von nicht nur Sachverständigen erschien. Eine
ungewöhnliche Formkraft unternimmt den Versuch, die pseudologia
phantastica der Romantik auf politische Normen zu reduzieren.
Eine allgemeine Vertauschung und Vermengung der Begriffe, eine
schrankenlose Promiskuität der Worte und Werte ist nicht nur für die
Romantik bezeichnend; sie ist seit der Romantik zum Allgemeingut der
Gebildeten geworden. Eine mystisch-ästhetisch-spiritualistische
Gesinnung grassiert, die Tröltsch noch im Jahre 1912 als die heimliche
Religion der Gebildeten des modernen protestantischen Deutschland
bezeichnen konnte. Schmitts Denkart ist im Gegensatz dazu sehr aufs
Unheimliche, Publizistische gerichtet. Er vermag dem allgemeinen
Nebelwesen wenig Reiz abzugewinnen. Dort die Ausflucht in allen Formen,
hier der strikte Wille zur Überwindung. Dort alle Symptome einer
Willenserkrankung, hier eine einschneidende, inquisitorische
Intelligenz. Ein Jurist, der Grammatik dozieren könnte, räumt mit den
Wirrnissen eines verstiegenen Geniekults auf. Der romantische Proteus
gerät in eine Zwangsjacke der Logik. Die romantischen Sprachsurrogate
empfangen eine Artikulation, die kaum zu überbieten ist.
Das Thema erscheint begrenzt. Nicht der Romantik
überhaupt, sondern der politischen Romantik gilt das Pamphlet. Und
eigentlich auch nur der deutschen Romantik, und zuletzt nur noch Adam
Müller. Um einen Hasen zu jagen, so konnte es scheinen, wird eine ganze
Provinz abgesperrt. Auch könnte man finden, Schmitt spreche von etwas,
das es gar nicht gibt. Gerade darin aber triumphiert seine
Überlegenheit, dieses imagimärste aller Themata logisch einzufangen, mit
einer enormen Kunst der Definition, der Unterscheidung, der
methodischen Register. Und da ergibt sich, daß Adam Müller vielleicht
der künstlichste und spezifischste Vertreter dessen ist, was man die
Politik oder Theologie der Romantik zu nennen pflegt. Er verwendet
philosophische, ästhetische, politische und theologische Argumente in
großer Zahl und in einer Weise, die alle einzelnen Disziplinen mit
Ausnahme der Rhetorik kompromittiert. Von den Betroffenen interessieren
Schmitt zumeist die politisch-theologischen Konstrukteure jener Zeit,
die katholischen Staatstheologen der Restauration. Nietzsche bei Beginn
seiner Karriere griff sich den „Bildungsphilister" David Strauß, in dem
er die kritizistische Plattitüde seiner Zeit abschlachtete. Schmitt
greift sich den „Staatstheologen" Adam Müller, in dem er die genialische
Hypokrisie des Liberalismus zu Tode hetzt. Die Stringenz des Stils aber
ist es nicht allein, was diese Broschüre inmitten der Verschwommenheit
einer neuteutschen Literatur zu einem Unikum macht.
Über das romantische Thema weit hinaus interessiert
die persönliche Fragestellung des Verfassers, der ideengeschichtliche
Aufriß, den er gibt, die Prospekte, die er in Bewegung setzt, der
Abgrund, in den die romantische Herrlichkeit klirrend versinkt. Adam
Müller, den man vor kurzem noch einen einsamen politischen Denker
nannte, löst sich wie eine Seifenblase in bunten Schein auf. Der Windzug
aber, der dies bewirkt, deutet auf eine Gewitterwolke. Die
„Unvereinbarkeit der Romantik mit irgendeinem moralischen, rechtlichen
oder politischen Maßstab“ mag keine neue Entdeckung sein; vielleicht ist
sie es doch. Der Maßstab selbst aber, den Schmitt anlegt, ist in seinen
Bestandteilen durchaus neu und von höchstem Interesse. Die politischen
Angriffspunkte, die die Romantik bietet, führen nach rückwärts bis zu
Malebranche und Descartes, nach vorwärts bis in die Gegenwart. Die
Erfassung dieses beträchtlichen Komplexes muß über die innere
Physiognomie des 18., 19. Und des beginnenden 20. Jahrhunderts die
wichtigsten Aufschlüsse bieten.
Die Romantiker, sagt Schmitt, versprachen eine neue Religion, ein neues Evangelium, eine neue Genialität. Von ihren Manifestationen in der gewöhnlichen Wirklichkeit aber gehörte kaum etwas vor ein Forum externum. Adam Müller insonderheit will das gescheiterte Unternehmen der französischen Revolution wieder aufnehmen und zu Ende führen, den Worten Religion, Philosophie, Natur und Kunst einen neuen Inhalt geben. Die Schranken der bisherigen mechanischen Zeit sollen gesprengt, die weltfremden Spekulationen der geistigen Revolution auf den Boden der Wirklichkeit verpflanzt werden. Müller bezieht sich dabei auf Burke, Bonald und Maistre, die gegen die französische Revolution in originaler Weise Partei ergriffen. Er selbst findet indessen kein unmittelbares moralisches, sondern nur ein sensualistisches Pathos. Sein Buch über die „Notwendigkeit einer theologischen Grundlage der gesamten Staatswissenschaften“ gelangt über die Kunstfiguren einer leeren Oratorik, über ein Spiel mit fremdem Eigentum, über eine lyrische Staatsphilosophie nicht hinaus. Die wichtigste Quelle politischer Vitalität, der Glaube an das Recht und die Empörung über ein Unrecht, existiert für ihn nicht. In seiner ästhetischen Einstellung, wie in der willkürlichen und normwidrigen Art zu argumentieren, liegt „der Unterschied von allem politischen Irrationalismus, der in seinen Grundlagen mystischen oder religiösen Ursprungs ist, und bei dem das Gewebe von Beweisgründen, auf die auch er nicht verzichten kann, Emanation politischer Aktivität ist“.
Politischer Irrationalismus: da hat man das für die
Romantik und auch für Schmitt entscheidende Wort. Mit Descartes beginnt
die Erschütterung des alten ontologischen Denkens und die Verweisung der
Realität an einen subjektiven und internen Vorgang, an das Denken,
statt an die Gegenstände der Außenwelt. Die moderne Philosophie ist von
einem Zwiespalt zwischen Denken und Sein, Begriff und Wirklichkeit,
Geist und Natur, Subjekt und Objekt beherrscht, den auch die
transzendente Lösung Kants nicht behoben hat; „sie gab dem denkenden
Geist die Reälität der Außenwelt nicht wieder, weil für sie die
Objektivität des Denkens darin besteht, Daß es sich in objektiv gültigen
Formen bewegt und das Wesen der empirischen Wirklichkeit, das Ding an
sich, gar nicht erfaßt werden soll“. Bald im subjektiven Denken, bald
in der empirischen Wirklichkeit wird von nun an die Irrationalität, die
Unerklärlichkeit, das Geheimnis des Daseins gesucht. Von dieser
human-materiellen Herabstimmung des alten theologischen Problems datiert
alle Verwirrung. Fichte sucht den Zwiespalt durch ein absolutes Ich zu
beseitigen, die Romantik will denselben Konflikt durch die gemachte und
bewußte Heteronomie des Genies beheben. „Die höchste und sicherste
Realität der alten Metaphysik", sagt Schmitt, „der transzendente Gott,
war beseitigt. Wichtiger aber als der Streit der Philosophen war die
Frage, wer seine Funktionen als höchste und sicherste Realität und damit
als Legitimationspunkt in der historischen Wirklichkeit übernahm“. Zwei
neue, diesseitige Realitäten treten auf und setzen eine neue Ontologie
durch. Völlig irrational, wenn man sie mit der Logik des achtzehnten
Jahrhunderts betrachtet, aber objektiv und evident in ihrer
Überindividuellen Geltung, beherrschen sie in realitate das Denken der
Menschheit als die beiden neuen Demiurgen. Der eine, der revolutionäre
Demiurg, ist die Gemeinschaft, deren verschiedene Gestalten als Volk,
Gesellschaft, Menschheit wirksam werden. Seine Allmacht wurde im Contrat
social von Rousseau proklamiert. Der andere, konservative Demiurg ist
die Geschichte. Die Romantik sucht den Demiurgen irrationale Bedeutung
abzugewinnen.
Mit unbegrenzten Versprechungen einer neuen Schöpfung war sie aufgetreten, mit ungeheuren Möglichkeiten, die sie der Wirksamkeit jener zwei neuen Realitäten entgegenzusetzen gedachte. Der Romantiker sucht die Rolle des weltproduzierenden Ich zu behaupten; er gerät jedoch in Widersprüche, die aus dem Vorhandensein zweier von seinem Willen unabhängigen und seinem Subjekt überlegenen Realitäten entstehen. Er beginnt die nichtobjektivierte Möglichkeit als die höhere Kategorie auszuspielen; sucht aller rationalen Argumente sich zu entschlagen. In einer Flucht von Antithesen schafft er sich unermüdlich ein neues Alibi. Man will die Irrationalität der Person retten, auch die Irrationalität der Zeit, verfällt aber hier einem sentimentalen Pointilismus des Augenblicks, und dort den Illusionen einer erträumten Primitivität. Bald ist es der einfache Landmann, bald das „indeterminierte Kind“, bald das paradiesische Idyll der Natur, die zu Trägern des Numinosen werden. Erst in der Kirche, nach dem Verzicht auf alle Subjektivität, findet der Romantiker, was er sucht: »eine große irrationale Gemeinschaft, eine weltgeschichtliche Tradition und den persönlichen Gott der alten Metaphysik«. Damit aber hörte man auf, Romantiker zu sein.
Der Versuch, die rationale Mechanik der Zeit zu
sprengen, mißlang aus zwei Gründen. Einmal weil die Romantik auf die
entscheidende Stellungnahme im Kampf der Meinungen verzichtete, sodann
weil sie glaubte, die Weltschöpferrolle auch gegen die Wirklichkeit
behaupten zu können. Und so lautet das Endurteil: Kein Argument hilft
darüber hinweg, „daß einer, der argumentiert, sich eines rationalen und
nicht eines irrationalen Vermögens bedient. Mochte auch von
intellektueller Anschauung, von genialem Aufschwung, oder irgendeinem
ändern intuitiven Vorgang gesprochen werden, mittels dessen besondere,
dem bloßen Verstande nicht zugängliche Einsichten gewonnen werden
sollten: solange ein philosophisches System prätendiert wurde, war der
Widerspruch innerhalb des Systems nicht zu überwinden; solange aber more
romantico Fragmente und Aphorismen die Resultate der intuitiven
Tätigkeit vermitteln sollten, lag nur ein Appell an die gleichgesinnte
Tätigkeit gleichgesinnter Seelen, also nur die romantische Gemeinschaft
vor. Das Ziel alles philosophischen Bemühens, das Irrationale
philosophisch zu erreichen, war nicht erreicht; in einer besonderen Form
hatte die neue Realität, die societas, den Romantiker überwunden und
gezwungen, an sie zu appellieren“.
Ich möchte gleich hier den Zusammenhang mit der „Politischen Theologie“ von 1922 aufzeigen. Die beiden Bücher verhalten sich zueinander wie etwa die „Kritik der reinen Vernunft“ sich zur „Kritik der praktischen Vernunft“ verhält, und nicht nur, weil der Titel Kongruenzen aufweisen. Letzten Endes war die ganze Untersuchung in „Politische Romantik“ unternommen, um die großen politischen Theologen Burke, Bonald und de Maistre vor einer ferneren Verwechslung mit Talmipolitikern und Adapteuren wie Adam Müller und Fr. Schlegel zu schützen. Im vierten Kapitel der »Politischen Theologie« knüpft Schmitt ausdrücklich an Resultate des Romantikbuches wieder an, und zwar behandelt er nun ergänzend die Systeme der Bonald, de Maistre und Donoso Cortes. Von den beiden ersteren war bereits in „Politische Romantik“ vielfach die Rede, wo es galt, ihr besonderes, die Romantik desavouierendes Verhalten zum Problem der Realität hervorzukehren. An den Experimenten der Romantik dagegen war gezeigt, wie man es nicht machen darf, wenn man das Irrationale, die Freiheit, das Numinose sichern und repräsentieren will. Die Kirche erschien als die einzige Lösung der romantischen Versuche. Die „Politische Theologie“ ist also die Konsequenz des Weges, den die Romantik selbst einschlug. Die juristischen Definitionen dieses Buches, auf die ich noch zurückkomme, dienen der Lösung jener Konflikte, an deren Widersprüchen die Romantik scheiterte; und die katholischen Staatstheologen, deren Leistung nunmehr erörtert wird, verhalten sich zu den politischen Romantikern, wie sich das praktische Beispiel einer Verwirklichung zum theoretischen, aber mißlungenen Versuch verhält.
Das sind thematische Vergleichspunkte. Was die beiden
Schriften dialektisch verbindet, ist folgendes: Bei der Analyse der
romantischen Realitätsbegriffe ergab sich die eminente Wichtigkeit des
Begriffs der Entscheidung. Romantiker sind Leute, die sich im
Tatsachenbereich nicht entscheiden wollen, ja die aus der
Unentschiedenheit eine Philosophie des Irrrationalen machen. Jene
katholischen Staatstheologen dagegen, „die man in Deutschland Romantiker
nennt, weil sie konservativ oder reaktionär waren und mittelakerliche
Zustände idealisierten“, de Maistre, Bonald, Donoso Cortes, bauen ihre
Systeme geradezu auf dem Begriff der Entscheidung auf, und wer weiß, die
Entscheidung enthält vielleicht das Problem der Form überhaupt. Den
deutschen Romantikern ist eine originelle Vorstellung eigentümlich: das
ewige Gespräch. Überall dagegen, wo die katholische Philosophie des
neunzehnten Jahrhunderts sich in geistiger Aktivität äußert, „spricht
sie in irgendeiner Form den Gedanken aus, daß eine große Alternative
sich aufdrängt, die keine Vermittlung mehr zuläßt. Alle formulieren ein
großes Entweder-Oder, dessen Rigorosität eher nach Diktatur klingt, als
nach einem ewigen Gespräch“.
Bonald, der Begründer des Traditionalismus, ist weit entfernt von der Idee eines ewigen, sich von selbst entwickelnden Werdens. Niemals wird bei ihm der Glaube an die Tradition etwas wie Schellings Naturphilosophie, Adam Müllers Mischung der Gegensätze oder Hegels Geschichtsglaube. Die Menschheit ist ihm eine Herde von Blinden, geführt von einem Blinden, der sich an einem Stocke weitertastet; die Tradition bietet die einzige Möglichkeit, denjenigen Inhalt zu finden, den der metaphysische Glaube des Menschen akzeptieren kann. Die Antithesen und Distinktionen, die ihm den Namen eines Scholastikers eintrugen, stellen moralische Disjunktionen dar, keineswegs Polaritäten der Schellingschen Naturphilosophie, die einen „Indifferenzpunkt" haben, oder bloße dialektische Negationen des Geschichtsprozesses. Er fühlt sich stets zwischen zwei Abgründen, zwischen dem Wesen und dem Nichts. Das aber sind die Gegensätze von Gut und Böse, Gott und Teufel, zwischen denen (nach Schmitt), „auf Leben und Tod ein Entweder-Oder besteht“. — Für de Maistre liegt der Wert der Kirche darin, daß sie letzte inappellable Entscheidung ist. Die Worte Unfehlbarkeit und Souveränität sind ihm „parfaitement synonymes“. Er erklärt die Obrigkeit für gut, wenn sie nur besteht; wesentlich ist, daß keine höhere Instanz die Entscheidung überprüft. — Bei Cortes vollends ist das typische Bild die Entscheidungsschlacht, die zwischen dem Katholizismus und dem atheistischen Sozialismus entbrannt ist. Es liegt nach Cortes im Wesen des bürgerlichen Liberalismus, sich in diesem Kampf nicht zu entscheiden, sondern statt dessen eine Diskussion anzuknüpfen. Cortes definiert die Bourgeoisie (Schmitt: die Romantik) geradezu als eine „diskutierende Klasse“, una clasa discutidora. „Damit ist sie gerichtet“, fügt der Interpret hinzu, und man versteht jetzt, weshalb er sich in „Politische Romantik“ die Eruierung der romantisch-liberalistischen Philosophie so angelegen sein ließ.
Gibt es überhaupt eine Wirklichkeit ohne
Entscheidung? Ist die Wirklichkeit anders zu erfassen als durch Analyse
und Urteil? Der Romantiker hatte die Selbstbespiegelung an Stelle der
Objektivierung gesetzt. Weder Kosmos, Glaube, Volk, Geschichte
interessierten ihn um ihrer selbst willen. Der Staat als romantisches
Objekt, das entspricht der romantisch-liberalistischen Ansicht der
Dinge. Gleichwohl vermag auch der zerblasenste Romantiker die
Entscheidung nicht zu umgehen. Vor die Alternative gestellt, muß auch er
sich entscheiden. Er entscheidet sich für das »höhere Dritte«, für eine
Synthese, die beide Gegensatzglieder anerkennt und sie in einer
fingierten Überlegenheit zu einem Kompromiß führt. Es ist die
furchtbare, durch Hegel populär gewordene Methode des Kompromisses von
Gut und Böse, von Ja und Nein, die zum Grundübel des neunzehnten
Jahr-hunderts wurde; eine Methode, von der Ernest Hello in seinem
großmütigen Buche „Philosophie et Atheisme“ folgendermaßen sprach? „Si,
en effet, l’affirmation et la négation sont identiques, toutes les
doctrines deviennent égales et indifferentes. Voilà l’erreur radicale,
fondamentale, immense de ce siêcle-ci; voilà la negation mêre; voilà ce
doute absolu, qui est l’absence même de philosophie, érigé en
philosophie absolue“.
In II, 2 der „Politischen Romantik“ geht Schmitt der
metaphysischen Herkunft dieser „synthetischen“ Entscheidungsform nach
und gelangt so zur Feststellung der »okkasionalistischen Struktur« der
Romantik. Descartes ist die oberste Instanz dieser Denkart. Von dem
Argument ausgehend, daß ich bin, weil ich denke, unterschied er Innen
und Außen, Seele und Leib, res cogitans und res externa. Daraus ergab
sich die Aufgabe, den Gegensatz in Einklang zu bringen, oder die
Wechselwirkung von Leib und Seele zu erklären.
Die okkasionalistische Lösung, die in den Systemen von Geraud de
Cordemoy, Geulinx und Malebranche unternommen wurde, bestand im
wesentlichen darin, daß Gott als der höhere Dritte die Synthese der
seelischen und körperlichen Äußerungen darstellt: alle irdische,
endliche Wirklichkeit ist nur eine Okkasion, ein Anlaß für die allein
wesentliche göttliche Wirksamkeit. In der Romantik nun tritt an Stelle
Gottes das geniale Subjekt, das die äußere Welt analog als Okkasion
seiner überlegenen synthetischen Produktivität auffaßt. Der Gegensatz
der Geschlechter wird aufgehoben im „Gesamtmenschen“; der Gegensatz der
Parteien und Individuen im „höheren“ Organismus, im Staate oder im Volk;
der Zwiespalt der Staaten in der höheren Organisation, der Kirche. Was
die Kraft hat, den Gegensatz nicht zu lösen, sondern zu lahmen, gilt als
die wahre und höhere Realität. So beginnt Adam Müller mit einer Lehre
vom Gegensatz, die eine absolute Identität ausdrücklich ablehnt und als
letztes Prinzip eine Art „antitherischer Synthese“, ; eben den Gegensatz
proklamiert. Schlegel stellte Malebranche noch über Descartes, Müller
folgte ihm darin und Novalis erwähnt den Okkasionalismus häufig in
seinen Fragmenten. Das Ziel war, über den toten, mechanischen
Rationalismus des achtzehnten Jahrhunderts hinwegzukommen. Die
politische und kulturelle Gefahr dieser Philosophie aber setzte dort
ein, wo man begann, auch den Gegensatz von Legitimismus und Liberalismus
nur durch Gott schlichten zu lassen, statt Partei zu nehmen. Da das
Wesen der Dinge immer in einer anderen Sphäre gesucht wird, als der sie
angehören, gerät die Spekulation in ein stetiges Voltigieren von einem
Gebiet auf das andere. Das Schlimmste dabei ist, daß der Romantiker sich
die Identität mit dem Schöpfer vorbehält; ohne sie auszuhalten. Eine
fatale Abneigung gegen alle persönliche Aktivität führt zu einer
Theologie, in der die Persönlichkeit Gottes selbst aufgehoben, und zu
einer Politik, in der die Überzeugung gleichgültig ist.
Der künstliche Irrationalismus der Romantik steht im
Widerspruche zur Wirklichkeit; diese letztere aber ist nach Schmitts
klarer Lehre identisch mit der Entscheidung. Wie verhält sich nun eben
die Entscheidung, die Wirklichkeit, zur nicht fingierten, sondern wahren
Irrationalität? Wie verhält sich die Jurisprudenz zur höchsten Instanz?
Indem Schmitt die beiden neuen Realitäten (Gemeinschaft und Geschichte)
für Demiurgen erklärt, stempelt er sie zu blinden, unvernünftigen,
eitlen Schöpfern, zu dämonischen Größen. Ihre Herrschaft beruht, wenn
man das Wort im gnostischen Sinne nimmt, in einer Vermengung von
übersinnlichen und materiellen Gewalten; in einem finsteren Trug, der in
seinen Auswirkungen zu Katastrophen führen muß und geführt hat. Auch
Schmitt folgt bei der Ermittlung des Irrationalen den Entwicklungen der
Gemeinschaft und der Geschichte, aber sie dienen ihm nur als Substrat
der Entscheidung. Weit entfernt, an eine Vernunft der materiellen
Geschichtsprozesse, oder gar an eine immanente Entwicklung zu immer
höheren Formen zu glauben, vermag er weder dem Hegelschen Weltgeist,
noch den marxistischen Wirtschaftsgesetzen einen sonderlichen Respekt
entgegenzubringen; er sieht in derlei Geschichts- und
Gesellschaftsdoktrinen nur Häresien, die nicht aufhören, ihrerseits
Objekte einer entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung zu bleiben. Der
Mensch als „Instrument der im dialektischen Prozeß sich entwickelnden
Vernunft“ ist nicht seine Sache. Er sucht die metaphysische Freiheit,
die mit der metaphysischen Realität identisch ist.
In seinem Buche „Die Diktatur“ (1921), das den politischen Begriff der ratio entwickelt, vermag er so wenig an eine im Geschichtsverlauf hervortretende kontinuierliche Vernunft zu glauben, daß er die französische Revolution vor der englischen, und den pouvoir constituant vor der Diktatur Cromwells behandelt. Und noch entscheidender: diese mit Vernunftkategorien kaum zu erfassende Cromwellsche Diktatur erscheint ihm, allen rationalistischen Systemen zum Trotz, als die höhere, eigentliche Vernunft. Um die gottgewollte Abhängigkeit von den Tatsachen ist es in diesem Systeme schlecht bestellt. Eher scheint darin ein spontanes Hervortreten des Göttlichen im Chaos der Geschichte, scheint das politische Wunder gelehrt zu werden: die Durchbrechung der Naturgesetze durch die souveräne Person. Das führt zum Gegensätze von ratio und irrational, der in den verschiedensten Formen Schmitts Werk beherrscht.
Diese Antithese hat in neuplatonischer Zeit zuerst
jene grundlegende Erörterung erfahren, die die kirchliche Auffassung von
der antiken in wichtigen Punkten trennt. Vernunft und Unvernunft sind
bei Proklus und Dionysius Areopagita nahezu identisch mit dem Gegensätze
von Gut und Böse, Gott und Dämon, Schöpfer und Demiurg. Gut ist die
hohe Vernunft; übel ist, was der Vernunft widerstreitet: das Geistlose,
Ungeordnete, das Verharren im Materiellen; ein distanzloses
Sichverhalten zur Zeit und Umgebung. Dem Begriffe „malum“ haftet
indessen in jener eschatologisch orientierten Zeit keinerlei
verdammende, moralistische Bewertung an. Das „Übel“ ist nur ein minderer
Zustand der Natur, ein Defekt, ein Mangel an Einsicht, Kraft,
Aufschwung; eine Verwirrung des Willens, ein Nochbewegtsein von
physischen Leidenschaften. So ist der Gegensatz von ratio und irrational
in jener frühen Zeit auch der Gegensatz von Ruhe und Bewegung, von
Dauer und Zeit, von Unsterblichkeit und Tod, von absolut und bedingt. In
dieser Gestalt geht die Antithese von Dionysius zu Thomas von Aquin und
Albertus Magnus über. Aber schon in vorscholastischer Zeit scheint in
der Praxis, wenn auch nicht in der Theorie, die moralistische
Interpretation des Begriffes vom Übel gesiegt zu haben. (Einwirkung der
augustinischen Tradition.) Während man nach orientalischer Auffassung
böse war, wenn man an den Tod glaubte, statt an Christus, ist man nach
neuerer Auffassung böse, wenn man sich den Diktaten eines längst nicht
mehr kirchlichen Rationalismus entzieht.
Die klassischen Staatsphilosophen von Macchiavelli und Hobbes bis zu de Maistre und Cortes sehen im nichtrepräsentierten Volk noch immer mit den Augen eines Thomas von Aquin ein irrationales Wesen, das durch die ratio beherrscht und von ihr geführt werden muß; nur eben machten sie die Antithese auch dann noch geltend, als die ratio der Herrscher und Verfassungen längst von Privatinteressen der regierenden Häuser und Klassen geleitet war. Es ist aus zweierlei Gründen wichtig, dies zu betonen. Einmal weil sich leicht dartun ließe, daß mit der moralistischen Vergröberung des Begriffes malum auch die Höhe der Vernunftdiktatur und der ratio selbst sank; sodann weil für Schmitt im Anschlusse an Cortes die Antithese eine dogmatisch und auch politisch nicht unbedenkliche Schärfe gewinnt. Die Überzeugung, daß der Mensch von Natur böse, verworfen, Bestie, Pöbel ist (statt hinfällig, unwissend, schwach und emanzipationsbedürftig), diese Auffassung gilt dem konstruierenden Staatskünstler der Renaissance und des anschließenden Absolutismus als Begründung dafür, daß er die zu organisierende Menschenmenge als ein zu bevormundendes, bösartiges Material ansieht, dem gegenüber alle Mittel erlaubt sind. Und umgekehrt antwortete die innerstaatliche Opposition damit, daß sie die prätendierte Diktatur der rationalistischen Staatshäupter und Verfassungen erbittert bekämpft und vice versa dem Volk eine instinktive Güte, Vernunft, Ordnung, und schließlich das Recht zur eigenen Diktatur erteilt.
Schmitts Auffassung ist die lateinische. Noch
entschiedener wie Donald und de Maistre trennt er die „irrationalen“
Elemente (Nation und Geschichte) von der Vernunft. Er richtet sich
sogar gegen den quasirationalistischen Staat, gegen den aufgeklärten
Legalismus, den er seines Abfalls von der theologischen Autorität wegen,
als Ausnahmezustand definiert. Nur in einem Punkte bleibt er befangen:
die moralistischen Thesen über die Natur des Menschen (ob von Natur
böse, oder von Natur gut) werden ihm in all ihrem fragwürdigen Extrem
zum Kriterium einer ihm begegnenden Staatslehre. Halten Mably, Rousseau
und die Anarchisten von Babeuf bis Krapotkin den Menschen, das Volk, das
Proletariat und sogar das „Lumpenproletariat“ für natürlich gut, ja für
das Heil der Welt, und sind sie deshalb Irrarionalisten, so erklären
alle rationalen Geister, und besonders die katholischen
Staatsphilosophen, den Menschen mit steigender Heftigkeit für blind,
konfus, verworfen und verächtlich. Gegen Schluß der „Politischen
Theologie”, wo Schmitt die gegenrevolutionäre Idee des Donoso Cortes
entwickelt, tritt der Gegensatz der Axiome im Gegensatz von Cortes und
Proudhon in flagranter weise hervor. Die Opposition hat den Satanismus
auf ihre Fahne geschrieben; sie kämpft mit der These „der Mensch ist
gut“ für die Zerstörung der Ideologie. Die Ideologen, und Cortes
insonderheit, kämpfen mit dem Axiom „der Mensch ist schlimmer als ein
Reptil“ unter der Fahne Gottes für die Metaphysik.
Die Lehre von der Verworfenheit des Menschen kann in der apodiktischen Form, in der Cortes sie vertritt, kaum überboten werden. Seine Verachtung der Menschen kennt keine Grenzen mehr; ihr blinder Verstand, ihr schwächlicher Wille, der lächerliche Clan ihrer fleischlichen Begierden scheinen ihm so erbärmlich, daß alle Worte aller menschlichen Sprachen niAt ausreichen, um die ganze Niedrigkeit dieser Kreatur auszudrücken. Schmitt betont zwar, und dies gilt auch pro domo, daß Cortes hier nicht δογματικως, sondern αντιθετικως; verstanden sein will, aus der Konsequenz seines Widerstandes gegen die Zeit. Aber er gibt zu, daß der legale Despotismus die Erbitterung der Opposition erst hervorruft. Er erwähnt auch die konziliantere Auffassung des Tridentinums, (der eine emanzipierende, nicht eine zerschmetternde Politik entsprechen würde). Wenn der Verfasser aber in seinen späteren Schriften die Überzeugung von der natürlichen Güte des Menschen kurzweg als eine „anarchistische Lehre“ behandelt, ist dies eine Abkürzung, die der formalen Strenge ein Stück von der milderen Wahrheit opfert. Er vermag nunmehr auch anarchistisch und irrational zu identifizieren. Dostojewskys Naturheilige bekommen einen Dynamitgeruch und Sorels irrationaler Reformvorschlag erscheint, der kirchlichen ratio gegenüber, lächerlich.
Die Auseinandersetzung mit Sorel (in „Römischer
Katholizismus und Politische Form“) nimmt einen für Schmitts knappe Maße
beträchtlichen Raum ein. Georges Sorel wollte in einer neuen
Verbindung der Kirche mit dem „Irrationalismus“ die Krise des
katholischen Gedankens sehen. Als „irrational“ gilt hier wieder das
Volk, und zwar das Volk der Syndikate, das rebellische Proletariat, dem
Sorel eine „force creatrice“ zuschreibt. Man könnte nach Cortes und
Schmitt der Kirche ebenso gut ein Bündnis mit dem Teufel selbst
vorschlagen. Schmitts Darlegungen an der betreffenden Stelle sind sehr
erhellend. Er räumt ein, daß im 19. Jahrhundert alle möglichen Arten
einer Opposition gegen Aufklärung und Rationalismus die Kirche neu
beleben. Er erwähnt die Konvertiten aus traditionalistischen,
mystizistischen und romantischen Tendenzen; auch eine gewisse
innerkirchliche Unzufriedenheit mit der hergebrachten Apologetik, die
von manchen als Scheinargumemation empfunden werde. Eine wesentliche
Bedeutung vermag er indessen der irrationalen Opposition nicht
zuzugestehen, weil die Vertreter dieser Bewegung vom
naturwissenschaftlichen Rationalismus ausgehen und übersehen, daß der
katholischen Argumentation eine besondere an der normativen Leitung des
sozialen Lebens interessierte, mit spezifisch juristischer Logik
demonstrierende Denkweise zugrunde liegt. Der Irrationalismus mag den
abstrakten Staat und das mechanistische Weltbild, er mag die
„mathematische Mythologie“ bekämpfen; die kirchliche ratio wird davon
nicht berührt.
Das Irrationale aber kann beide Bedeutungen haben: unvernünftig und übervernünftig. Im Staate bezieht sich der Gegensatz von ratio und irrational stets auf die Ordnung einer unberechenbaren und deshalb mit großer Vorsicht zu behandelnden Staatsmaterie, auf die Masse des Volkes, die ihrer Art von Eingebungen, nämlich spontanen Willensimpulsen von meist materieller Herkunft und Absicht unterliegt. In der Theologie deutet der Gegensatz auf das Verhältnis des Legalen und Institutionellen zu den Eingebungen einer überlegenen, schöpferischen, geistigen Art, auf das Verhältnis zum Numinosen, zum Heiligen und Wunderbaren, zur Offenbarung. Die gnostischen und neuplatonischen Systeme kennen mancherlei Vermittlungsstufen, die den übervernünftigen Urgrund mit den rationalen Kategorien, den Stufen der Hierarchie verbinden. Bei Dionysius Areopagita ist Gott die Ursonne, die alle Stufenreihen der Wesen bis herab zu den materiellsten nicht verpflichtend und logisch, sondern liebend und irrational in ihren Bannkreis zieht, um sie zu durchdringen. Die Engel, die das „Gesetz“ dieser Durchdringung verkünden, die also die ratio der Gebote geben, stehen in einem deduzierenden Verhältnis, in einer Distanz zum Urgrund, und auch sonst ist in diesem theologisch-philosophischen System, das die Scholastik und überhaupt das mittelalterliche Denken unabsehbar beeinflußt hat, das Heiligenreich in der Ekstase, das heißt übervernünftig, irrational begründet. Die inspirierte und offenbarende, die sakramentale und kanonische Welt, die Kirche eben und gerade auch ihre hierarchische Konstitution stellen einen übernatürlichen und übervernünftigen Organismus dar. Rational wird diese Welt mir in der Interpretation; in ihrem Verhältnis zum zeitlichen, materiellen Status, der der Vernunft entbehrt. Das sacrificium intellectus, das die Kirche ihren Dogmen, Wundern und Sakramenten gegenüber verlangt, bezeichnet den Punkt, wo jederzeit die Inferiorität der rationalen Belange gegenüber dem Unbegreiflichen postuliert erscheint.
Dies vorausgeschickt, sehe ich mit Schmitt im
Verhältnis der Kirche zum „Staat“ ihre Rarionalität und möchte ich
Schmitt selbst als einen Rationalisten in der staatlichen, als
Irrationalisten aber in der theologischen Reihe bezeichnen, wobei ich,
ohne dem Folgenden vorzugreifen, hinzufügen kann, daß Schmitt jene
rationale Kraft, mit der er den pseudo-rationalistischen Staat
analysiert und begreift, eben von der irrationalen Größe der Kirche und
ihren juristischen Normen bezieht. Einen Widerspruch der Schmittschen
Schriften könnte man freilich darin finden, daß die theologische Form
des Systems nicht von Anfang an da ist, nicht aus einem festgegründeten
Glauben, sondern aus Konsequenzen entsteht; daß der Glaube und die
Theologie seines Werkes in energischen Folgerungen zwar und mit raschen
Schritten, aber immerhin doch erst im Verlaufe seines Schaffens errungen
werden. Die ersten Schriften scheinen außerhalb der Kirche entstanden
oder wenigstens konzipiert zu sein. Jene eigentümliche Heuristik des
Stils, die man in seiner soziologischen Methode finden kann, weist
darauf hin. Eine weitgehende Verachtung der traditionellen Legalität ist
im Ursprunge zwar ebenfalls „irrational“, aber im Sinne des Organischen
und des Genies. Daraus entspringt die Schwierigkeit, ihn zu
systematisieren, eine Schwierigkeit, die erst mit den beiden letzten
Schriften, »Politische Theologie« und „Römischer Katholizismus und
Politische Form“ verschwindet.
„Die Diktatur“ (1921) ist diejenige von Schmitts Schriften, die den Autor zur Kenntnis seines Problems und zur Freiheit führt. Hier, bei dem Versuch, die Rechtsformen der reformatio zu erfassen, stößt Schmitt auf Entdeckungen, die für seine folgenden Schriften ebenso wie für seine Theologie entscheidend werden. Der quasi-rationalistische Naturstaat seit Macchiavelli erscheint als eine Revolte gegen den plein pouvoir des religiösen Souveräns, als ein Ausnahmezustand. Bei einer unter die Anmerkungen verwiesenen Feststellung des Gesetzesbegriffs von Thomas v. Aquin bis Montesquieu und Kant begegnet immer wieder, in den verschiedensten Staatsverfassungen und Doktrinen, das Wort „Diktatur“. Gesetz ist nach Thomas von Aquin ein „dictamen practicae rationis“. Hobbes spricht von „dictata rectae rationis“. Nach Locke geschieht im Staate, was „calm reason and conscience dictate“. Die Erklärung der Menschenrechte von Massachusetts (1780) führt in Artikel II den Begriff „dictates of his own conscience“. New Hamphire bekennt sich zu dem unveräußerlichen Recht, Gott zu verehren „according to the dictates of his own conscience and reason“, und noch Kant spricht von „dictamina rationis“. Regieren heißt während der ganzen absolutistischen und jakobinischen Periode eine „Vernunftdiktatur“ gegenüber der „incondita et confusa turba“ errichten oder aufrechterhalten. Der Diktator selbst, mag er als Kommissar oder aus eigener Machtvollkommenheit auftreten, immer charakterisiert ihn, daß eine fremde oder seine eigene Souveränität ihm den Auftrag erteilt zur Reform, zur Wiederherstellung gesetzlicher Zustände nach einem Chaos, in das der Staat geraten war.
Eine gewisse Verwirrung ist in diesem umfangreichsten
Buche Schmitts nicht zu verkennen, und es ist interessant genug, ihren
Grund zu ermitteln. Die Rechtsformen der reformatio sollen erfaßt
werden, aber es ergibt sich dabei, daß die reformatio einen absoluten
Souverän, den Papst als Auftraggeber voraussetzt, und daß, was man
gemeinhin die Reformation nennt, als eine Revolte gegen den religiösen
Souverän rechtlich gar nicht zu begründen ist. Ein Gegensatz von
kommissarischer und souveräner Diktatur wird eingeführt, aber er ist in
der Form, in der Schmitt ihn vorträgt, unhaltbar. Er läßt nur den Punkt
erkennen, an dem der Verfasser sich vom natürlichen Irrationale zum
theologischen wendet. Der vom Papste ernannte Diktator des Mittelalters
ist Aktionskommissar. Er suspendiert die bestehenden Rechte, um den
zerrütteten Rechtszustand, den Staat wiederherzustellen. Insofern die
Wiederherstellung, die reformatio nun im Mittelalter und auch noch in
späterer Zeit, stets von einem konstituierten Organ ausging, vom Papste
oder vom Fürsten, könnte man das Kommissariat als eine rationale
Diktatur bezeichnen. Eine irrationale Diktatur aber läge dann vor, wenn,
nach Schmitts Definition, „auch jemand, der kein konstituiertes Amt hat
und nur a deo excitatus ist, die bestehende Ordnung beseitigt“, so daß
eine Auflösung aller sozialen Form zum Zwecke ihrer höheren
Wiederherstellung zu erkennen ist. Nur fragt es sich dabei, in welchem
Sinne diese Diktatur irrational ist, ob im politischen oder im
theologischen, und mit einem Wort, ob und inwiefern es eine irrationale
Politik überhaupt geben kann.
Der homo a deo excitatus, auf den Schmitt abzielt, ist eine den Schriften der protestantischen Monarchomachen wohlbekannte Figur; gleichwohl macht Schmitt nur ein Beispiel für diese Art individueller Souveränität innerhalb der neueren Staatswesen namhaft: Cromwell. „Die puritanische Revolution war das auffälligste Beispiel einer Durchbrechung der Kontinuität bestehender staatlicher Ordnung.“ War nun Cromwell ein souveräner Diktator, ganz aus der Freiheit geboren, oder war er ein Usurpator, der, wenn er sich auch auf Gott bezog, Soldaten hinter sich wußte, auf die er sich stützte? Zunächst die Kennzeichen der Souveränität, die Schmitt in „Politische Theologie“ (1922) aufzählt. „Souverän ist, wer die Befugnis hat, das geltende Gesetz aufzuheben.“ „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Der Ausnahmezustand besteht „in einer Suspendierung der gesamten bestehenden Ordnung“. In seiner absoluten Gestalt ist der Ausnahmefall dann eingetreten, „wenn erst die Situation geschaffen werden muß, in der Rechtssätze gelten können“. Wichtig ist auch der Satz, daß die Souveränität „nicht ein Zwangs- oder Herrschafts-, sondern ein Entscheidungsmonopol“ ist. Soweit die rationalen Kennzeichen. Auf die irrationalen Beweggründe aber deutet Schmitt damit hin, daß, wie er sagt, gerade nur die Ausnahme, der extreme Fall interessiert; denn in der Ausnahme „durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik. Umschreibend würde man sagen können: es gibt Gestaltungen der Geschichte, in denen das Leben so tödlich verstrickt und geknebelt ist, daß eine legale Lösung nicht mehr möglich erscheint. Der Lebensstrom kehrt dann in seiner ganzen Fülle zu seinem Ursprung zurück und erzwingt sich sein Recht nach höheren Gesetzen. Es gibt einen überlegenen Modus und Weg, eine ewige Richtlinie, nach denen das Leben auch in Zeiten, die es gefährden, auch gegen die staatlichen und legalen Approbationen, zu seinem Rechte gelangt. Es ist die gegebene historische Situation für das Hervortreten des Heiligen, oder um im Politi sehen zu bleiben, des homo a deo excitatus. Ein Wunder muß geschehen, und das Wunder wird wieder geglaubt.
Aber Wunder und Politik — wie vertragen sie sich?
Gibt es politische Heilige, homines a deo excitati, die merkantile und
kriegerische Aktionen leiten? Vermag das Irrationale in direktem
Hervortreten die Politik eines Landes zu leiten? Ist eine souveräne
Diktatur innerhalb des Staates überhaupt möglich? Cromwell ist ohne
Zweifel ein Usurpator, schon deshalb, weil er wütend gegen die Kirche
auftrat. Gewiß, er berief sich auf irrationale Motive, er sah den Quell
seiner Gewalt in Gott und machte seine Souveränität nicht vom Volke im
Sinne der radikalen Demokraten seiner Zeit abhängig. Er läßt niemals
einen Zweifel darüber, daß vor Gott jede weitere irdische Instanz
relativ wird oder schwindet. Aber die physische Macht stand hinter ihm,
während er sprach, und nicht das Wunder. Glückliche Handelsverträge
begünstigten ihn, nicht Traumgesichte und Inspirationen göttlicher Art.
Enfin, er ist ein Ketzer. Niemals wird er kanonisch werden, er war kein
Souverän. Und so nötigt die Konsequenz zu der Aussage, daß Schmitt in
diesem Buche noch an eine Souveränität außerhalb der Kirche glaubt,
während man als römischer Katholik an dem Satze festhalten muß, daß
innerhalb der Politik nur eine kommissarische Diktatur irrational zu
begründen ist; dann nämlich, wenn eine irrationale Macht den Auftrag
erteilt einem Instrumente, das mit rationalen Mitteln die höheren
Absichten der auftraggebenden Macht in die Wege leitet. Der homo a deo
excitatus oder der Heilige in der politischen Auffassung der
puritanischen und deutschen Reformation ist ein Rebell, der nicht an den
Friedensfürsten, sondern an den Kriegsgott glaubt und der seine
politische Mission mit dem Wohlstände der Nation ausweist. Der Heilige
und die Staatsgeschäfte schließen einander aus, solange nicht ein
universaler Glaube herrscht. Das Irrationale kann niemals in direkten
Bezug zum Staate treten. Das ist der Sinn der Kirche als Institution und
der kommissarischen Diktatur. Der souveräne Diktator ist nur innerhalb
der Kirche zu begründen.
Der Versuch einer analogen Anwendung der Antithese
auf das Verhältnis von kommissarischer und souveräner Diktatur mußte
mißlingen, solange Schmitt noch wie in „Diktatur“ an den
übervernünftigen, ekstatischen Belang eines kirchenfeindlichen
Individuums und an eine individuell begründete Souveränität überhaupt
glaubte. In „Diktatur“ unterliegt Schmitt noch den Anschauungen der von
ihm später so heftig bekämpften, materiellen Irrationalisien à la
Sorel. Es verraten sich gewisse antimechanistische Instinkte, die auf
den modernen Ausgangspunkt verweisen. Doch hindert dies nicht, daß der
Gegensatz von kommissarischer und souveräner Diktatur besteht, wenn er
auch, um konkret zu bleiben, nur auf das Verhältnis des päpstlichen
Aktionskommissars zu seinem Auftraggeber angewandt werden kann. Und
ebenso vermochte Schmitt überraschend neue Kennzeichen der Souveränität
zu definieren, ohne daß er plausibel machen konnte, wie ein Hervortreten
des homo a deo excitatus außerhalb der Kirche, oder gar, wie im Falle
Cromwells, im heftigsten Widerspruche mit ihr, solle möglich sein, ohne
in praxi zu einer Verwirrung aller Rechts- und Moralbegriffe zu führen.
Nun wird in der ein Jahr später erscheinenden „Politischen Theologie“ der Souveränitätsbegriff weiter verfolgt, und diese Schrift verlegt, wie der Titel schon sagt, den Souveränitätsbegriff ausschließlich in die Theologie. Daß die Souveränität kein „Zwangs- oder Herrschafts-, sondern ein Entscheidungsmonopol“ ist, garantiert diese Wendung und schließt alle ferneren Mißverständnisse aus. Als Kennzeichen der Souveränität erscheint jetzt die schon erwähnte Befugnis, das geltende Gesetz aufzuheben. Diese Befugnis kann ihrem Sinne nach nur einer der Politik überlegenen geistigen Macht zustehen, die ein höheres als das politische Gesetz zur Geltung bringt. Wenn Schmitt sich auf Bodins „Vraies remarques de souveraineté“ (Kap. X des I. Buches der Republik) bezieht und es als Bodins Leistung und Erfolg bezeichnet, daß er die Dezision in den Souveränitätsbegriff hineingetragen hat, so erinnert man sich, daß Bodin eigentlich nur eine kommissarische Diktatur kannte (die die Souveränität des Auftraggebers voraussetzt), aber keine souveräne Diktatur. Eine souveräne Diktatur übte damals und übt auch heute noch de facto nur der Papst aus, dem sie von den Konzilien übertragen ist; wobei man streiten kann und lange gestritten hat, ob diese Diktatur zu Recht besteht, oder in welchem Sinne sie zu Recht besteht. Dies ist das Problem der kirchlichen Unionsbestrebungen.
In „Diktatur“ ist Schmitt sein Personalismus gefährlich geworden, ebenso wie de Maistre der Begriff des „legitimen Usurpators“ gefährlich wurde. Aber die gewaltige begriffliche, die erschöpfende wissenschaftliche Leistung dieses Buches scheint ihm die Dinge in einem neuen, demütigeren Lichte zu zeigen. Er verbindet das Problem der Souveränität jetzt mit dem der Rechtsform überhaupt, und das schließt eine individuelle Lösung, wie sie das Diktaturbuch für möglich hielt, aus; es sei denn, daß das Individuum und die höchste, ideologische Instanz zusammentreffen, was man von Cromwell, Münzer, Mazzini und anderen individuellen Versuchen, eine souveräne Diktatur außerhalb der Kirche zu errichten, nicht behaupten kann.
Der Begriff der Persönichkeit gewinnt in Schmitts
Werk mit jeder neuen Schrift höhere Bedeutung. Ich wies bereits darauf
hin, wie sehr bei diesem Ideologen das wissenschaftliche und das
persönliche Problem verbunden sind. Wer seiner eigenen Person Dauer zu
verleihen sucht, muß auf die Identität seiner Äußerungen bedacht sein.
Würde und Wert der Person sind anders nicht zu behaupten. Trifft diese
Überzeugung mit einem Hang zum Absoluten und Definitiven zusammen, so
begegnet die religiöse Persönlichkeit, die ein “ewiges Leben“, die
Unsterblichkeit, ein über den Tod und den Zufall erhabenes Sein
erstrebt. Ich nannte diese Einstellung eschatologisch, kätholisch, und
möchte, falls man hierüber weiteren Aufschluß sucht, auf ein Buch des
Spaniers Miguel de Unamuno verweisen, das wenig bekannt ist. * Das
Verhältnis der Person zur Wirklichkeit und zum Jenseits, oder nach
Schmitt zum Staat und zur Rechtsform macht nahezu den Inhalt der
„Politischen Theologie“ aus. Eine Diktatur ist ohne eine bestimmende
Persönlichkeit nicht denkbar, eine Repräsentation von Würde und Wert
ebensowenig. Wie es keine Form, ja nicht einmal eine Wirklichkeit ohne
eine Entscheidung gibt, so wenig ist eine Entscheidung ohne eine Person,
die entscheidet, möglich. Aus der absoluten juristischen Form ist nach
Schmitt die Persönlichkeit nicht hinwegzudenken: „In der Eigenbedeutung
des Subjekts liegt das Problem der juristischen Form.“
*„Le sentiment tragique de la vie“ (Paris 1917), chap. IV, L’essence du catholicisme.
Kapitel II der „Politischen Theologie“ setzt der Verfasser sich über das Formproblem mit der neueren deutschen Rechtsphilosophie auseinander. Ein energischer Personalismus verdeutlicht dann den Abstand, in dem sein System zu dieser unserer Zeit steht, deren anonyme, unpersönliche Physiognomie eine autonome Besinnung nahezu ausschließt. Kelsens Lehre, wonach der Staat die Rechtsordnung selbst ist, kann Schmitts theologischer Einsicht so wenig emsprechen, wie die Krabbes, wonach der abstrakte Staat selbst souverän ist. „Das Rechtsinteresse ist nicht das höchste Interesse“, das der metaphysischen Person steht höher. Erich Kaufmanns „Kritik“ der neukantianischen Rechtsphilosophie“ (und ihrer sterilen Abstraktionen) erscheint als „die jeinzige Äußerung einer neuen, geistigen Intensität“. Kaufmann treibt nicht erkenntnistheoretische Spiegelfechterei, sondern Geschichtsphilosophie. Er folgt den gegebenen Fakten, statt Abstraktionen sich über den Kopf wachsen zu lassen. Er stellt den Staat, nicht das Recht in den Mittelpunkt kritischer Betrachtung. Der in Begriffsklitterungen befangene Neukantianismus vermag das anstürmende Leben nicht zu bändigen. Kaufmann warnt davor, den Rest von Irrationalität zu vergewaltigen, der sich rationaler Formulierung noch entzogen hält; doch irrational heißen hier wieder die Lebenskräfte ganz allgemein, nicht die Gründe der ratio. So endet auch Kaufmanns Kritik beim Problem der obersten Form, ohne daß deutlich würde, worin diese Form denn nun beschlossen läge.
Schmitt hat seinem Vorgänger gegenüber den Vorteil
seiner katholischen Schulung und seines leidenschaftlich ideologischen
Temperaments. Die objektive, unpersönliche, abstrakte Auffassung der
Form (Kelsen, Krabbe, Preuß), die eine anonyme, formalistische Autorität
an den Anfang der Dinge setzt, diese Auffassung erfährt eine kräftige
Abfuhr. Recht ist dort, wo entschieden wird; wo inappellativ entschieden
wird, ist der Souverän, und wo die Entscheidungen des Souveräns
hervortreten, ist der Ausnahmezustand. Das sind klare und höchst
lebendige Definitionen, die beim stilistischen Rang des Autors nicht nur
juristische, sondern allgemeine Bedeutung haben. Wenn es die besondere
Aufgabe des Philosophen ist, Spannungen innerhalb der Denkwirtschaft
seiner Zeit zu erzeugen, so ist hier eine Krisis in den
Herrschaftsbegriffen heraufbeschworen, die man nicht unterschätzen darf;
denn: „alle Tendenzen der modernen staatsrechtlichen Entwicklung gehen
dahin, den Souverän in diesem (theologischen und ideologischen) Sinne zu
beseitigen“.
Es fehlt aber noch das wesentlichste Element der Rechtsform, ihre universale Verbindlichkeit. Was Schmitts Rechtslehre zur politischen Theologie stempelt, ist die eigenartige Einführung und Anwendung einer von ihm meisterhaft gehandhabten Analogie zwischen politischer und theologischer Norm, zwischen Theologie und Jurisprudenz. Bei seinen ideen-geschichtlichen Untersuchungen ergibt sich die merkwürdige Tatsache, daß die staatsrechtlichen Konstruktionen der Legislateure jeweils den metaphysischen Konstruktionen der Denker entsprechen. Dieses „Gesetz“, diese Analogie gewinnt in Schmitts Händen den “Wert einer unfehlbaren Methode, wo es gilt, den Sinn sowohl einer politischen Doktrin wie einer ihr übergeordneten metaphysischen Notion zu erschließen. Die Existenz solcher Analogie kannten schon Descartes und Leibniz. „Merito partitionis nostrae exemplum“, so äußerte sich der letztere, „a theologia ad jurisprudentiam transtulimus, quia mira est utriusque facultatis similitudo“. Bei Schmitt führt die Analogie, nachdem sie erst nur der historischen Erkenntnis diente, zuletzt zur Feststellung der Theologie als der obersten Form der Jurisprudenz, insofern deren Begriffe samt und sonders in der Theologie beschlossen sind und aus ihr hervorgehen. „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre“, heißt es im III. Kapitel der „Politischen Theologie“, „sind säkularisierte theologische Begriffe. Nicht nur ihrer historischen Entwicklung nach, weil sie aus der Theologie auf die Staatslehre übertragen wurden, indem z. B. der allmächtige Gott zum omnipotenten Gesetzgeber wurde, sondern auch in ihrer systematischen Struktur, deren Erkenntnis notwendig ist für eine soziologische Betrachtung dieser Begriffe.“
Was ist das: soziologische Betrachtung der
Rechtsbegriffe? Es ist das Bestreben, die geschichtlichen Formen der
Rechtsbegriffe zu ihrer Herkunft zurückzuverfolgen und daraus Schlüsse
zu ziehen auf die absolute Rechtsform. Es ist der Versuch, von der
geschichtlichen Wirksamkeit aus und nicht abstrakt, zum Absoluten zu
gelangen. Insofern setzt eine Soziologie der Rechtsbegriffe eine
„konsequente und radikale Ideologie“ voraus. Nur daß die Ideologie eben
konkret eingesetzt wird und sich durch das geschichtliche Material
hindurchzuarbeiten sucht; sie geht von den historischen Gestaltungen und
Erscheinungsformen aus. Der Philosoph, der solche Soziologie betreibt,
verdankt seine Resultate einer „radikalen Begrifflichkeit, das heißt
einer bis zu Theologie und Metaphysik getriebenen Konsequenz“. Die
erwähnte Analogie ist ein Werkzeug solcher soziologischer Betrachtung,
und zwar ihr vornehmstes Werkzeug. Mit ihr durchdringt der Philosoph die
ihm begegnenden Systeme, von ihr aus konstruiert und begreift er sie.
Die Frage nach den Tatsachen und der Struktur eines Systems wird zuletzt
immer zur Frage nach der bewußten oder unbewußten Theologie, die das
System beherrscht. Erst wenn der Gott oder Götze gefunden ist, dem
vertraut und geglaubt wird, gilt ein System, eine Zeit, für begriffen.
Die Sprache Gottes, die Theologie, ist höchster Begriff, nicht nur der
Jurisprudenz, sondern auch der Kunst, der Politik, der Person, ja der
Zahl und der Zeit.
Neben der Antithese von ratio und irrational ist die juristisch-theologische Analogie das wesentlichste Strukturprinzip der Schmittschen Schriften. Genau besehen aber sind beide Prinzipien ein und dasselbe. Denn die Theologie verhält sich zur Jurisprudenz — das meint auch die partitio nostra des Leibniz — wie das Irrationale höheren Sinnes sich zur ratio verhält. Auch in diesem Zusammenhange knüpft Schmitt an Resultate der „Politischen Romantik“ von 1919 wieder an. Dort hatte er die Analogie zum ersten Male erwähnt und verwertet. „Diktatur“ war ein Abweg, oder sie ist schon vor dem Romantikbuche entstanden. In „Diktatur“ stimmte die Antithese mit der Analogie nicht überein; das führte zu einer Verwirrung der Grundbegriffe. Die Einheit des Schmittschen Werkes beruht in der Erhellung der Vernunftbeziehungen zum Übervernünftigen als ihrem Formprinzip. Diese Beziehungen aber sind akkurat die Beziehungen der Jurisprudenz zur Theologie, und nicht wie in „Diktatur“ die Beziehungen der Jurisprudenz zur Willkür einer Usurpation.
Ich möchte nicht unterlassen, in aller Kürze einige Beispiele der Analogie anzuführen. In „Politische Romantik“ zeigt Schmitt, weshalb der typische Romantiker die Wirklichkeit nicht zu begreifen vermag. Er ist dazu außerstande, weil er die höchste begriffliche Realität, diejenige Gottes, durch zwei Pseudo-Realitäten, Gemeinschaft und Geschichte, ersetzt sieht, die er als Autoritäten empfindet, ohne daß sie es seien. Der Romantiker, das Genie der Zeit, dessen Aufgabe es wäre, die Zeit zu begreifen und zu gestalten, sieht sich der völligen Unmöglichkeit gegenüber, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Er ist zur Impotenz, zur endlosen Diskussion, zu einer haltlosen Rhetorik verurteilt. Er sucht seine Freiheit im skeptischen oder ironischen Konsentement, in wohlfeilen Sophismen. Er vermag das Problem weder zu entscheiden, noch zu realisieren, weil ihm der höchste Begriff, die Realität Gottes, zerstört ist. Darum aber vermag Schmitt seinerseits die Romantik in einer so eminenten Weise zu begreifen, weil ihre politische Situation ihn zu ihrer metaphysischen und theologischen Struktur führt, wo sich denn die Konflikte dieser Bewegung in universaler Vielfalt erschließen.
Ein anderes Beispiel aus der „Diktatur“. Descartes
Metaphysik lehrte, daß Gott nur eine volonté générale habe, und daß
alles Partikuläre seinem Wesen fremd sei. Rousseaus Gesetzgebung
fordert analog, daß das Individuum auf alle seine Sonderrechte zugunsten
der volonté générale als omnipotentem staatlichem Faktor zu verzichten
habe, um von der volonté générale seine Rechte als generelles Gesetz
wiederzuerhalten. Der Begriff des Legislateur selbst ist bei Rousseau
dergestalt definiert, daß seine Wirksamkeit etwa dem Anstoß jener
okkasionellen Ursachen entspricht, die bei Malebranche in der
metaphysischen Reihe als die lois générales von Gott in Bewegung gesetzt
erscheinen. Aus den Naturgesetzen aber, wie Descartes, Malebranche und
Leibniz sie entwickeln, sind dann bei Holbach bereits „Gesetze der
wirtschaftlichen Entwicklung“ geworden, denen der Staat sich zu
unterwerfen habe.
In Schmitts letzter Schrift „Römischer Katholizismus und Politische Form“ findet sich der abschließende Satz, daß ein mechanistisches Zeitalter sich das höchste Wesen überhaupt nur außerhalb der Dinge als allgemeinen Beweger, als Monteur und Installateur der kosmischen Maschine denken könne, und in derselben Schrift begegnet die wichtige Feststellung der Religion einer modernen europäischen Gesellschaft, die eine Religion der Privatsache und des Privateigentums genannt wird.
Es ist immer wieder überraschend, wie sehr bei Schmitt die typische Fragestellung des Thomismus nachwirkt oder wiederauflebt; jenes ganz zur Erfahrung geneigten mittelalterlichen Systems, das die Irrationalität der Dogmen verteidigte, indem es zu zeigen versuchte, daß die Übervernünftigkeit dieser Dogmen nicht eben widervernünftig, oder gar unvernünftig zu sein brauche, und das alle Kräfte der ancilla philosophia darauf verwandte, die Verbindungen von Übervernunft und Vernunft, von Theologie und Philosophie, von Heilig und Profan abzugrenzen.
— Auch in „Römischer Katholizismus und Politische Form“ steht das Problem der ratio im Mittelpunkte der Gestaltung, einer sehr kunstvollen Gestaltung, die so sehr gelungen ist, daß die wissenschaftliche Frage auch stilistisch ins theologische Geheimnis mündet. Schon der Titel zeigt das oben konstatierte Gegensatzpaar von Theologie und Politik; nur ist der Gegensatz jetzt in die absolute Sphäre gehoben. In dieser Sphäre wird aus der Theologie ein »Römischer Katholizismus« und aus der Politik die „Politische Form“. Um es vorwegzusagen: es ist auch der andere Gegensatz von Irrational 'und Rational, mit der radikalen Zuspitzung, daß beide Antithesenglieder jetzt in die Theologie verlegt sind: insofern nämlich dem „Römischen Katholizismus“ auch die rationale Formkraft der Politik gegenüber zuerteilt wird. Mit anderen Worten: die römische Kirche hütet die Irrationalität und gelangt bei der Erfassung und Normierung des materiellen Status zur Ausprägung der rationalen Formen.
Ratio heißt im Lateinischen nicht nur
Vernunft, sondern auch Rechenschaft, Aufschluß, Maß, Gesetz und Methode.
Ratio ist allgemein genommen ein Sichverhalten einer Sache oder Person
zu einer anderen, der Aufschluß über die Beschaffenheit eines
Phänomens, und ebenso hat das Wort die Bedeutung von „Einrichtung“
überhaupt. Vernehmen kann die Vernunft schließlich nur, was ihr
verkündet wird, und so könnte man sagen, daß die kirchliche ratio sich
nach oben auf die Offenbarung und nach unten auf den Staat bezieht. Wie
dem auch sei; die ratio setzt ihrem Wesen nach die repraesentatio
voraus, als welche, um bei dieser grammatischen Pedanterie noch ein
wenig zu verweilen, die Vergegenwärtigung, die bildliche Darstellung
einer Sache bezeichnet und ihrer Natur gemäß Gegenstände unbildlicher,
immaterieller, ideologischer, irrationaler Art umfaßt. Das sind die
Grundbegriffe, um die der Lateiner Carl Schmitt seine Schrift gruppiert,
und zwar läßt er sie seiner Antithese getreu vom Verhältnis der ratio
zu repraesentatio handeln, ein scholastisches Thema, das hier im
konkreten Gewände heutiger Prägung erscheint.
Daß die soziologische Konsequenz zum römischen Katholizismus führen mußte, kann bei dem retrospektiven Bestreben dieser Methode nicht überraschen. Alle Begriffe der Legislative und Metaphysik, die im europäischen Geschichtsverlauf der letzten Jahrhunderte hervortraten und auf die Gestaltung der Gesellschaft Einfluß gewannen, gehen auf die mittelalterliche Suprematie der römischen Kirche und weiterhin darauf zurück, daß diese Kirche, wie Schmitt sagt, „im größten Stile die Trägerin juristischen Geistes und die wahre Erbin der römischen Jurisprudenz“ ist. Das Verhältnis ihrer überrationalen Einsichten zum Staat zu bestimmen, ist ihr spezifischer Beruf, seit die Nachfolger Petri das Brückenamt des akrömischen Pontifex maximus übernahmen. Nicht als ob es seitdem kein römisches Recht außerhalb der Kirche gebe: aber so gewiß der griechische Areopag die oberste Kult- und Rechtsbehörde zugleich war, so gewiß war es der altrömische Pontifex maximus, und ist es der christliche.
Die ratio ist die Brücke vom konkreten Gott zum konkreten Volk, .und nicht etwa, wie in den sogenannt rationalistischen Werken die Brücke von einer skeptischen und abstrakten Philosophie zu einer dämonischen Wirklichkeit. Die ratio setzt den Glauben an Realität Gottes und eine Repräsentation, eine Vergegenwärtigung dieses Glaubens voraus. Der Rationalismus der Kirche beruht nach Schmitt „im Institutionellen“, in einer „spezifisch formalen Überlegenheit über die Materie des menschlichen Lebens“. Der katholischen Argumentation liegt eine „besondere, an der normativen Leitung des sozialen Lebens interessierte, mit spezifisch juristischer Logik demonstrierende Denkweise“ zugrunde, und diese formale Eigenart des römischen Katholizismus „beruht auf der strengen Durchführung des Prinzips der Repräsentation“. Der Papst ist nicht der oberste Prophet, sondern der Stellvertreter, der Vikar Christi; er repräsentiert die abwesende, ekstatische, irrationale Person Christi, repräsentiert die Gemeinschaft der (in der Ekstase abwesenden) Heiligen, den Leib Christi, die Kirche. „In solchen Distinktionen“ (nicht Prophet, sondern Stellvertreter), sagt Schmitt, »liegt die rationale Schöpferkraft der Kirche«. In der Repräsentation liegt ihr Wille zur Verantwortung, ihre publizistische Form, im Gegensätze zu all den Religionen, deren Überzeugung Privatsache ist.
Im römischen Katholizismus sieht Schmitt die
juristische, politische, ja die ideologische Form überhaupt und damit
alle höheren Kategorien der europäischen Zivilisation garantiert. Die
formalen Zusammenhänge sind aus dem Vorhergehenden ohne weiteres klar.
Inhaltlich aber erklärt sich die Stellung, die Schmitt der römischen
Kirche zuweist, aus ihrer Kraft zur Repräsentation. „Sie repräsentiert
die civitas humana, repräsentiert in jedem Augenblick den historischen
Zusammenhang mit dem historischen Augenblick der Menschwerdung und des
Kreuzesopfers Christi, sie repräsentiert Christus selbst“, mit allen
Attributen, so könnte man hinzufügen, die das Credo ihm gibt, worunter
die juristischen Attribute einen entscheidenden Rang einnehmen. Denn
nach dem Credo leidet Christus unter Pontius Pilatus, das heißt die
irrationale Person leidet unter der Politik, und nach dem Credo kommt
Christus zu richten die Lebendigen und die Toten: die irrationalia und
die rationalia, wenn man mit Baco von Verulam unter den Lebendigen die
Theologie und unter den Toten die Philosophie verstehen darf.
Es ist kein Zufall, wenn Schmitt gegen Sorel die lebendige Eschatologie einiger neueren Katholiken (Veuillot, Bloy, Cortes, Robert Hughes Benson) verteidigt. Er hätte an dieser Stelle vor allem auch auf die Heilig- und Seligsprechungen der letzten Jahrzehnte hinweisen können, in denen die von Sorel bestrittene „mythologische“ Vitalität der Kirche und ihr Gericht kanonisch zum Ausdruck kommen. Die Eschatologie ist mit den Fragen der Repräsentation, wie Schmitt sie behandelt, aufs engste verbunden. Die repraesentatio entspringt dem Streben nach Dauer und Endgüliigkeit. Institutionen ist sie die Gegenwart über den Tod hinaus und in ihrer Spitze die Allgegenwart. Unamuno in seiner Philosophie des Irrationalen erklärt den (der Repräsentation zugrunde liegenden) „soif d'immortalité“ für die eigentlich christliche und katholische Entdeckung. „Quid ad aeternitatem? Voilà la question capitale. Specifiquement religieux dans le catholicisme c’est l’immortalisation et non la justification à la manière protestante.“ Die institutionelle Repräsentation ist die Vergegenwärtigung der Immortalität: der Dauer. Sie gibt dem römischen Katholizismus jenes „Pathos der Autorität“, das Schmitt als ihre politische Macht bezeichnet, jene Würde und Überlegenheit über den politischen und sozialen Zufall. Darum kann sie jederzeit zur Quelle neuen Rechts werden, weil jede neue politische Konstellation ihr Gesetz und ihr Maß nur vom Absoluten beziehen kann. Die Dauer, wc sie repräsentiert wird, entscheidet; denn (mit Unamuno zu sprechen) „qu’y a-t-il de plus utile. de plus souverainement utile, que d’avoir une âme destinee à ne jamais mourir?“ Und so ist in den repräsentativen Formen des römischen Katholizsmus auch jenes Pathos der Entscheidung enthalten, das Schmitt in früheren Schriften als „souveräne Diktatur“ bezeichnete. Diese Welt des Repräsentativen ist es, die der Kirche ihre Kraft zur dreifach großen Form gibt: „zur ästhetischen Form des Künstlerischen, zur juridischen Rechtsform und endlich zu dem ruhmvollen Glanz einer weltgeschichtlichen Machtform“.
Jene Impulse aber, die den »antirömischen Affekt«
beleben, enthüllen sich damit in ihrer Konsequenz als normfeindlich, als
abhold der politischen Verantwortung wie der künstlerischen Gestalt.
Mit welchen Gründen immer sie die ratio der Kirche bestreiten, umgehen,
oder in ein »höheres Dritte« aufzuheben versuchen, sie sind gegen die
metaphysische Würde, gegen den Heroismus des Menschen gerichtet. Sie
treiben zur Willkür, oder zu einer unkontrollierbaren Mystik, zum
Vorbehalt eines privaten Gewissens, oder zur Verneinung der Autorität.
Die Gegner mögen mit Rudolf Sohm in der Juristik der Kirche ihren
eigentlichen Sündenfall sehen, oder mit Dostojewsky einen indischen
Schauder vor Macht und Gesetz empfinden; sie mögen mit der Freimaurerei
die übernatürliche Institution als inhuman befehden, oder mit Bakunin
und Marx die Ideologie selbst beseitigen wollen; gemeinsam bleibt allen
diesen Gegnern die Abneigung gegen die rationale Formkraft des
Absoluten. Diese aber erweist nach Schmitt gerade darin ihre Humanität,
daß sie nicht anders als in der Verwirklichung, in der
Selbstdarstellung, die übervernünftigen Werte sichtbar machen und zur
Geltung bringen kann. Alle jene Gegner arbeiten dem modernen norm- und
formfeindlichen Verbrauchsstaat in die Hände, wie wenig sie eine so
fatale Allianz suchen mögen und mit welchen Sophismen immer sie ihr zu
entgehen bestrebt sind. Das ist dagegen die große Bedeutung der Kirche,
daß sie zur Repräsentation auch diejenigen einlädt, an die sie sich
wendet, sei es das einzelne Individuum, oder die formierte Gesamtheit
der Individuen, der Staat.
Damit sind wir beim Ausgangspunkt wieder angelangt: beim Gegensätze des Ideologen zum modernen mechanisierten Konsum. Der kapitalistische Industriestaat von heute wie der sozialistische von morgen, beide kennen und anerkennen weder Form noch Repräsentation; sie haben nicht einmal die Kraft zu einer eigenen Sprache. Sie sind auf Bedürfnissen aufgebaut, die identisch sind mit dem Nichts. Ihr fatalistisches Ziel ist ein sich selbst regierender, selbst regulierender Ablauf von Wirtschaftsprozessen. Mit einem Automaten aber ist keine persönliche, politische, ideologische, keine vernünftige Verbindung möglich. Solange sich dieser Staat mit erstaunlicher Inbrunst im Widervernünftigen aufhält, kann ihn eine Vermittlung übervernünftigen Werte kaum interessieren. Doch die Kirche kann warten. „Sub specie ihrer alles überlebenden Dauer wird sie die complexio alles Überlebenden sein.“
1. Hugo Ball: Flight Out of Time
2. artesonoro. E’ possibile ascoltare il sonoro della celebre poesia di Hugo Balla “Karawane”.
3. Dada - The AntiWar Art Movement.
4. Hugo Ball. Studiò dal 1906 al 1910 germanistica, sociologia e filosofia in Munchen e Heidelberg. Scheda biografica del Projekt Gutenberg-DE.
5. Myspacemusic.
Hugo Ball (1886-1927) |
* * *
B.
B.
(Testo originale tedesco.
Traduzione italiana in progress)
Traduzione italiana in progress)
Hugo BALL
Carl Schmitts politische Theologie
in:
Hochland, 1924, B. XXII, Juniheft, S. 263-286
Hochland, 1924, B. XXII, Juniheft, S. 263-286
Hochland. - Monatschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur und Kunst, 21. Jg. April 1924 – September 1924, Bd. 2, p. 261-286. Il testo è stato ripubblicato in: Jacob Taubes (Hrsg.), Der Fürst dieser Welt. Carl Schmitt und die Folgen, Ferdinand Schöningh – Wilhelm Fink Verlag, 1983, pp. 100-115.
I.
Pag. 263 |
Was bezeichnet den Ideologen? Wie kommt er zustande? Er hat ein persönliches, fast ein privates System, dem er Dauer verleihen möchte. Er gruppiert alle Lebenstatsachen, gruppiert seine ganze Erfahrung um die eine Grundüberzeugung, daß Ideen das Leben beherrschen; daß das Leben niemals nach seinen Bedingungen, sondern nur nach freien, unbedingten, ja bedingenden Einsichten, eben nach Ideen, geordnet und aufgebaut werden kann. Die Exaltierung und Hartnäckigkeit dieser seiner Überzeugung macht die Größe des Ideologen aus. In einer Zeit, die das Nichts anbetet, indem sie die Ideologie bekämpft oder belächelt, in solcher Zeit wird der Ideologe genötigt sein, seine Basis zu prüfen. Er wird zum Politiker und schließlich zum Theologen werden, ehe er sich's versieht. Man könnte sagen, daß in der engelmacherischen Tendenz unserer Zeit ihre letzte Hoffnung beschlossen liegt. Wie dem auch sei: in Carl Schmitts Werk findet die Ideologie einen ihrer schärfsten und glühendsten Verteidiger. Sein Ausgangspunkt ist das Recht, die Rechtswissenschaft; er ist Professor der Rechte in Bonn. Seine ersten Schriften handeln von „Schuld und Schuldarten“ (1910), von „Gesetz und Urteil" (1912). Doch findet sich schon der Übergang zur politischen Philosophie („Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen“, 1914). Es gibt kein Recht außerhalb des Staates, und es gibt keinen Staat außerhalb des Rechts. Da kann es auch keine Gerechten geben, die nicht den Staat als die nächste Instanz der Idee anerkennen („Politische Romantik“, 1919, Duncker & Humblot, dort auch die späteren Schriften). In den späteren und letzten Schriften erweitert sich die Instanzenfrage zur Frage nach der letzten bestimmenden Autorität und Form, womit die juristische Interpretation einer „Politischen Theologie“ ihren Abschluß erfährt.
II.
Pag. 264 |
Die Tendenz zum Absoluten, die ihn charakterisiert, ist jedoch keineswegs auf Abstrakta gerichtet, wie bei den großen Systembaumeistern des Barock und der Aufklärung, sondern konkret eingestellt. Sie führt auch in ihrer letzten Konsequenz nicht zu einer alles bedingenden Abstraktion, heiße sie Gott, Form, Autorität oder sonstwie, sondern zum Papste als der absoluten Person, der eine abermals konkrete Welt irrationaler, der logischen Erfassung weiter nicht zugänglicher Personen und Werte repräsentiert. Wie nur irgendein Kantianer geht Schmitt von apriorischen Begriffen, eben von seiner Rechtsideologie aus. Nur begnügt er sich nicht, diese seine Begriffe um ihrer selbst willen zu definieren und miteinander in Beziehung zu setzen. Sein Verfahren ist anders. Er sucht seine Rechtsbegriffe im gegebenen Staate und ferner in der Tradition nach ihren letzten Zusammenhängen, nach ihrer Vergesellschaftung mit allen anderen höheren Kategorien (Philosophie, Kunst, Theologie) progressiv zu ermitteln.
Als Soziologe, dem kein irgendwie belangvolles Detail des näheren oder entfernteren Lebens entgeht, fragt er überall nach der wirklichen Anwendung des Rechts, um so, den Tatsachen folgend, zu ihrer letzten bestimmenden Form zu gelangen. Er stellt keinen Idealstaat, keine Utopie auf; er läutet kein vorher zurechtgeklügeltes systematisches Glockenspiel. Das Gefüge der letzten Instanzen, das sich ihm schließlich enthüllt, ist ein Organismus, nicht eine Maschine; ein freischwebendes Planetarium, nicht eine oktroyierte Konstruktion. Die völlige Unsentimentalität dieses Werkes erweist sich darin, daß keinerlei Gefühlswerte, nicht einmal die höchsten, als Ausgangspunkt gelten. Die Moral beginnt mit gesicherten Rechsbegriffen; diese freilich umschließen in ihrer Vernunft alle höheren irrationalen Werte. Die Juristik, wie Schmitt sie interpretiert, ist die rationale Präsenzform der Ideen.
III.
Pag. 265 |
In seinem Interesse für den Komplex der Romantik opfert auch Schmitt dieser Situation. Das Wesen des Genies reicht in die blinden, antinomistischen, triebhaften Gründe der Natur ebenso wie in die übervernünftige Sphäre der religiösen Welt. Die Loslösung von den Normen einer erstarrten Sozietät gibt den illegalen Instinkten sogar eine gewisse Vernunft. Der Todfeind der Romantik, als der Schmitt sich gelegentlich erweist, bekämpft in ihr die irrationale Gefahr seines eigenen schöpferischen Fonds, dessen Klärung seine Schriften sämtlich gewidmet scheinen. Der Charakter des Organischen, den diese Schriften zeigen, weist darauf hin. Schmitt ist Theologe und römischer Katholik keineswegs bereits bei seinem ersten Schritte. Sein Werk entfaltet sich unter Schmerzen nicht nur technischer Natur, in einem bunten Nacheinander von grimmiger Diatribe und objektiver Untersuchung, von definierendem Diktat und kunstvoller Apologie. Die Resultate sind schrittweise errungen aus Konsequenzen; ein Neben- und Übereinander der Stimmen begleitet die Konzeption. Eine gewisse Aphoristik weist auf Vereinsamung hin, doch von den Gefahren eines abseitigen Individualismus ist Schmitt durch eine Welt getrennt. Die soziale Natur der Rechtsbegriffe sichert ihm eine stete Verbundenheit mit der Norm, und so tritt klarer und schärfer mit jedem Werk die Grundform hervor, nach der das System sich entfaltet. Der irrationale Fond einer großen Persönlichkeit und ihrer Zeit wird aus den Naturfesseln sowohl wie aus der Ekstase völlig in den Begriff überführt.
IV.
Pag. 266 |
Con Emmy Hennings |
Pag. 267 |
V.
Die Romantiker, sagt Schmitt, versprachen eine neue Religion, ein neues Evangelium, eine neue Genialität. Von ihren Manifestationen in der gewöhnlichen Wirklichkeit aber gehörte kaum etwas vor ein Forum externum. Adam Müller insonderheit will das gescheiterte Unternehmen der französischen Revolution wieder aufnehmen und zu Ende führen, den Worten Religion, Philosophie, Natur und Kunst einen neuen Inhalt geben. Die Schranken der bisherigen mechanischen Zeit sollen gesprengt, die weltfremden Spekulationen der geistigen Revolution auf den Boden der Wirklichkeit verpflanzt werden. Müller bezieht sich dabei auf Burke, Bonald und Maistre, die gegen die französische Revolution in originaler Weise Partei ergriffen. Er selbst findet indessen kein unmittelbares moralisches, sondern nur ein sensualistisches Pathos. Sein Buch über die „Notwendigkeit einer theologischen Grundlage der gesamten Staatswissenschaften“ gelangt über die Kunstfiguren einer leeren Oratorik, über ein Spiel mit fremdem Eigentum, über eine lyrische Staatsphilosophie nicht hinaus. Die wichtigste Quelle politischer Vitalität, der Glaube an das Recht und die Empörung über ein Unrecht, existiert für ihn nicht. In seiner ästhetischen Einstellung, wie in der willkürlichen und normwidrigen Art zu argumentieren, liegt „der Unterschied von allem politischen Irrationalismus, der in seinen Grundlagen mystischen oder religiösen Ursprungs ist, und bei dem das Gewebe von Beweisgründen, auf die auch er nicht verzichten kann, Emanation politischer Aktivität ist“.
Pag. 268 |
Mit unbegrenzten Versprechungen einer neuen Schöpfung war sie aufgetreten, mit ungeheuren Möglichkeiten, die sie der Wirksamkeit jener zwei neuen Realitäten entgegenzusetzen gedachte. Der Romantiker sucht die Rolle des weltproduzierenden Ich zu behaupten; er gerät jedoch in Widersprüche, die aus dem Vorhandensein zweier von seinem Willen unabhängigen und seinem Subjekt überlegenen Realitäten entstehen. Er beginnt die nichtobjektivierte Möglichkeit als die höhere Kategorie auszuspielen; sucht aller rationalen Argumente sich zu entschlagen. In einer Flucht von Antithesen schafft er sich unermüdlich ein neues Alibi. Man will die Irrationalität der Person retten, auch die Irrationalität der Zeit, verfällt aber hier einem sentimentalen Pointilismus des Augenblicks, und dort den Illusionen einer erträumten Primitivität. Bald ist es der einfache Landmann, bald das „indeterminierte Kind“, bald das paradiesische Idyll der Natur, die zu Trägern des Numinosen werden. Erst in der Kirche, nach dem Verzicht auf alle Subjektivität, findet der Romantiker, was er sucht: »eine große irrationale Gemeinschaft, eine weltgeschichtliche Tradition und den persönlichen Gott der alten Metaphysik«. Damit aber hörte man auf, Romantiker zu sein.
Pag. 269 |
VI.
Ich möchte gleich hier den Zusammenhang mit der „Politischen Theologie“ von 1922 aufzeigen. Die beiden Bücher verhalten sich zueinander wie etwa die „Kritik der reinen Vernunft“ sich zur „Kritik der praktischen Vernunft“ verhält, und nicht nur, weil der Titel Kongruenzen aufweisen. Letzten Endes war die ganze Untersuchung in „Politische Romantik“ unternommen, um die großen politischen Theologen Burke, Bonald und de Maistre vor einer ferneren Verwechslung mit Talmipolitikern und Adapteuren wie Adam Müller und Fr. Schlegel zu schützen. Im vierten Kapitel der »Politischen Theologie« knüpft Schmitt ausdrücklich an Resultate des Romantikbuches wieder an, und zwar behandelt er nun ergänzend die Systeme der Bonald, de Maistre und Donoso Cortes. Von den beiden ersteren war bereits in „Politische Romantik“ vielfach die Rede, wo es galt, ihr besonderes, die Romantik desavouierendes Verhalten zum Problem der Realität hervorzukehren. An den Experimenten der Romantik dagegen war gezeigt, wie man es nicht machen darf, wenn man das Irrationale, die Freiheit, das Numinose sichern und repräsentieren will. Die Kirche erschien als die einzige Lösung der romantischen Versuche. Die „Politische Theologie“ ist also die Konsequenz des Weges, den die Romantik selbst einschlug. Die juristischen Definitionen dieses Buches, auf die ich noch zurückkomme, dienen der Lösung jener Konflikte, an deren Widersprüchen die Romantik scheiterte; und die katholischen Staatstheologen, deren Leistung nunmehr erörtert wird, verhalten sich zu den politischen Romantikern, wie sich das praktische Beispiel einer Verwirklichung zum theoretischen, aber mißlungenen Versuch verhält.
Pag. 270 |
Bonald, der Begründer des Traditionalismus, ist weit entfernt von der Idee eines ewigen, sich von selbst entwickelnden Werdens. Niemals wird bei ihm der Glaube an die Tradition etwas wie Schellings Naturphilosophie, Adam Müllers Mischung der Gegensätze oder Hegels Geschichtsglaube. Die Menschheit ist ihm eine Herde von Blinden, geführt von einem Blinden, der sich an einem Stocke weitertastet; die Tradition bietet die einzige Möglichkeit, denjenigen Inhalt zu finden, den der metaphysische Glaube des Menschen akzeptieren kann. Die Antithesen und Distinktionen, die ihm den Namen eines Scholastikers eintrugen, stellen moralische Disjunktionen dar, keineswegs Polaritäten der Schellingschen Naturphilosophie, die einen „Indifferenzpunkt" haben, oder bloße dialektische Negationen des Geschichtsprozesses. Er fühlt sich stets zwischen zwei Abgründen, zwischen dem Wesen und dem Nichts. Das aber sind die Gegensätze von Gut und Böse, Gott und Teufel, zwischen denen (nach Schmitt), „auf Leben und Tod ein Entweder-Oder besteht“. — Für de Maistre liegt der Wert der Kirche darin, daß sie letzte inappellable Entscheidung ist. Die Worte Unfehlbarkeit und Souveränität sind ihm „parfaitement synonymes“. Er erklärt die Obrigkeit für gut, wenn sie nur besteht; wesentlich ist, daß keine höhere Instanz die Entscheidung überprüft. — Bei Cortes vollends ist das typische Bild die Entscheidungsschlacht, die zwischen dem Katholizismus und dem atheistischen Sozialismus entbrannt ist. Es liegt nach Cortes im Wesen des bürgerlichen Liberalismus, sich in diesem Kampf nicht zu entscheiden, sondern statt dessen eine Diskussion anzuknüpfen. Cortes definiert die Bourgeoisie (Schmitt: die Romantik) geradezu als eine „diskutierende Klasse“, una clasa discutidora. „Damit ist sie gerichtet“, fügt der Interpret hinzu, und man versteht jetzt, weshalb er sich in „Politische Romantik“ die Eruierung der romantisch-liberalistischen Philosophie so angelegen sein ließ.
Pag. 271 |
Hochland Pag. 272 bis |
VII.
Pag. 272 |
In seinem Buche „Die Diktatur“ (1921), das den politischen Begriff der ratio entwickelt, vermag er so wenig an eine im Geschichtsverlauf hervortretende kontinuierliche Vernunft zu glauben, daß er die französische Revolution vor der englischen, und den pouvoir constituant vor der Diktatur Cromwells behandelt. Und noch entscheidender: diese mit Vernunftkategorien kaum zu erfassende Cromwellsche Diktatur erscheint ihm, allen rationalistischen Systemen zum Trotz, als die höhere, eigentliche Vernunft. Um die gottgewollte Abhängigkeit von den Tatsachen ist es in diesem Systeme schlecht bestellt. Eher scheint darin ein spontanes Hervortreten des Göttlichen im Chaos der Geschichte, scheint das politische Wunder gelehrt zu werden: die Durchbrechung der Naturgesetze durch die souveräne Person. Das führt zum Gegensätze von ratio und irrational, der in den verschiedensten Formen Schmitts Werk beherrscht.
VIII.
Pag. 273 |
Die klassischen Staatsphilosophen von Macchiavelli und Hobbes bis zu de Maistre und Cortes sehen im nichtrepräsentierten Volk noch immer mit den Augen eines Thomas von Aquin ein irrationales Wesen, das durch die ratio beherrscht und von ihr geführt werden muß; nur eben machten sie die Antithese auch dann noch geltend, als die ratio der Herrscher und Verfassungen längst von Privatinteressen der regierenden Häuser und Klassen geleitet war. Es ist aus zweierlei Gründen wichtig, dies zu betonen. Einmal weil sich leicht dartun ließe, daß mit der moralistischen Vergröberung des Begriffes malum auch die Höhe der Vernunftdiktatur und der ratio selbst sank; sodann weil für Schmitt im Anschlusse an Cortes die Antithese eine dogmatisch und auch politisch nicht unbedenkliche Schärfe gewinnt. Die Überzeugung, daß der Mensch von Natur böse, verworfen, Bestie, Pöbel ist (statt hinfällig, unwissend, schwach und emanzipationsbedürftig), diese Auffassung gilt dem konstruierenden Staatskünstler der Renaissance und des anschließenden Absolutismus als Begründung dafür, daß er die zu organisierende Menschenmenge als ein zu bevormundendes, bösartiges Material ansieht, dem gegenüber alle Mittel erlaubt sind. Und umgekehrt antwortete die innerstaatliche Opposition damit, daß sie die prätendierte Diktatur der rationalistischen Staatshäupter und Verfassungen erbittert bekämpft und vice versa dem Volk eine instinktive Güte, Vernunft, Ordnung, und schließlich das Recht zur eigenen Diktatur erteilt.
Pag. 274 |
Die Lehre von der Verworfenheit des Menschen kann in der apodiktischen Form, in der Cortes sie vertritt, kaum überboten werden. Seine Verachtung der Menschen kennt keine Grenzen mehr; ihr blinder Verstand, ihr schwächlicher Wille, der lächerliche Clan ihrer fleischlichen Begierden scheinen ihm so erbärmlich, daß alle Worte aller menschlichen Sprachen niAt ausreichen, um die ganze Niedrigkeit dieser Kreatur auszudrücken. Schmitt betont zwar, und dies gilt auch pro domo, daß Cortes hier nicht δογματικως, sondern αντιθετικως; verstanden sein will, aus der Konsequenz seines Widerstandes gegen die Zeit. Aber er gibt zu, daß der legale Despotismus die Erbitterung der Opposition erst hervorruft. Er erwähnt auch die konziliantere Auffassung des Tridentinums, (der eine emanzipierende, nicht eine zerschmetternde Politik entsprechen würde). Wenn der Verfasser aber in seinen späteren Schriften die Überzeugung von der natürlichen Güte des Menschen kurzweg als eine „anarchistische Lehre“ behandelt, ist dies eine Abkürzung, die der formalen Strenge ein Stück von der milderen Wahrheit opfert. Er vermag nunmehr auch anarchistisch und irrational zu identifizieren. Dostojewskys Naturheilige bekommen einen Dynamitgeruch und Sorels irrationaler Reformvorschlag erscheint, der kirchlichen ratio gegenüber, lächerlich.
Pag. 275 |
IX.
Das Irrationale aber kann beide Bedeutungen haben: unvernünftig und übervernünftig. Im Staate bezieht sich der Gegensatz von ratio und irrational stets auf die Ordnung einer unberechenbaren und deshalb mit großer Vorsicht zu behandelnden Staatsmaterie, auf die Masse des Volkes, die ihrer Art von Eingebungen, nämlich spontanen Willensimpulsen von meist materieller Herkunft und Absicht unterliegt. In der Theologie deutet der Gegensatz auf das Verhältnis des Legalen und Institutionellen zu den Eingebungen einer überlegenen, schöpferischen, geistigen Art, auf das Verhältnis zum Numinosen, zum Heiligen und Wunderbaren, zur Offenbarung. Die gnostischen und neuplatonischen Systeme kennen mancherlei Vermittlungsstufen, die den übervernünftigen Urgrund mit den rationalen Kategorien, den Stufen der Hierarchie verbinden. Bei Dionysius Areopagita ist Gott die Ursonne, die alle Stufenreihen der Wesen bis herab zu den materiellsten nicht verpflichtend und logisch, sondern liebend und irrational in ihren Bannkreis zieht, um sie zu durchdringen. Die Engel, die das „Gesetz“ dieser Durchdringung verkünden, die also die ratio der Gebote geben, stehen in einem deduzierenden Verhältnis, in einer Distanz zum Urgrund, und auch sonst ist in diesem theologisch-philosophischen System, das die Scholastik und überhaupt das mittelalterliche Denken unabsehbar beeinflußt hat, das Heiligenreich in der Ekstase, das heißt übervernünftig, irrational begründet. Die inspirierte und offenbarende, die sakramentale und kanonische Welt, die Kirche eben und gerade auch ihre hierarchische Konstitution stellen einen übernatürlichen und übervernünftigen Organismus dar. Rational wird diese Welt mir in der Interpretation; in ihrem Verhältnis zum zeitlichen, materiellen Status, der der Vernunft entbehrt. Das sacrificium intellectus, das die Kirche ihren Dogmen, Wundern und Sakramenten gegenüber verlangt, bezeichnet den Punkt, wo jederzeit die Inferiorität der rationalen Belange gegenüber dem Unbegreiflichen postuliert erscheint.
Pag. 276 |
„Die Diktatur“ (1921) ist diejenige von Schmitts Schriften, die den Autor zur Kenntnis seines Problems und zur Freiheit führt. Hier, bei dem Versuch, die Rechtsformen der reformatio zu erfassen, stößt Schmitt auf Entdeckungen, die für seine folgenden Schriften ebenso wie für seine Theologie entscheidend werden. Der quasi-rationalistische Naturstaat seit Macchiavelli erscheint als eine Revolte gegen den plein pouvoir des religiösen Souveräns, als ein Ausnahmezustand. Bei einer unter die Anmerkungen verwiesenen Feststellung des Gesetzesbegriffs von Thomas v. Aquin bis Montesquieu und Kant begegnet immer wieder, in den verschiedensten Staatsverfassungen und Doktrinen, das Wort „Diktatur“. Gesetz ist nach Thomas von Aquin ein „dictamen practicae rationis“. Hobbes spricht von „dictata rectae rationis“. Nach Locke geschieht im Staate, was „calm reason and conscience dictate“. Die Erklärung der Menschenrechte von Massachusetts (1780) führt in Artikel II den Begriff „dictates of his own conscience“. New Hamphire bekennt sich zu dem unveräußerlichen Recht, Gott zu verehren „according to the dictates of his own conscience and reason“, und noch Kant spricht von „dictamina rationis“. Regieren heißt während der ganzen absolutistischen und jakobinischen Periode eine „Vernunftdiktatur“ gegenüber der „incondita et confusa turba“ errichten oder aufrechterhalten. Der Diktator selbst, mag er als Kommissar oder aus eigener Machtvollkommenheit auftreten, immer charakterisiert ihn, daß eine fremde oder seine eigene Souveränität ihm den Auftrag erteilt zur Reform, zur Wiederherstellung gesetzlicher Zustände nach einem Chaos, in das der Staat geraten war.
Pag. 277 |
Der homo a deo excitatus, auf den Schmitt abzielt, ist eine den Schriften der protestantischen Monarchomachen wohlbekannte Figur; gleichwohl macht Schmitt nur ein Beispiel für diese Art individueller Souveränität innerhalb der neueren Staatswesen namhaft: Cromwell. „Die puritanische Revolution war das auffälligste Beispiel einer Durchbrechung der Kontinuität bestehender staatlicher Ordnung.“ War nun Cromwell ein souveräner Diktator, ganz aus der Freiheit geboren, oder war er ein Usurpator, der, wenn er sich auch auf Gott bezog, Soldaten hinter sich wußte, auf die er sich stützte? Zunächst die Kennzeichen der Souveränität, die Schmitt in „Politische Theologie“ (1922) aufzählt. „Souverän ist, wer die Befugnis hat, das geltende Gesetz aufzuheben.“ „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Der Ausnahmezustand besteht „in einer Suspendierung der gesamten bestehenden Ordnung“. In seiner absoluten Gestalt ist der Ausnahmefall dann eingetreten, „wenn erst die Situation geschaffen werden muß, in der Rechtssätze gelten können“. Wichtig ist auch der Satz, daß die Souveränität „nicht ein Zwangs- oder Herrschafts-, sondern ein Entscheidungsmonopol“ ist. Soweit die rationalen Kennzeichen. Auf die irrationalen Beweggründe aber deutet Schmitt damit hin, daß, wie er sagt, gerade nur die Ausnahme, der extreme Fall interessiert; denn in der Ausnahme „durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik. Umschreibend würde man sagen können: es gibt Gestaltungen der Geschichte, in denen das Leben so tödlich verstrickt und geknebelt ist, daß eine legale Lösung nicht mehr möglich erscheint. Der Lebensstrom kehrt dann in seiner ganzen Fülle zu seinem Ursprung zurück und erzwingt sich sein Recht nach höheren Gesetzen. Es gibt einen überlegenen Modus und Weg, eine ewige Richtlinie, nach denen das Leben auch in Zeiten, die es gefährden, auch gegen die staatlichen und legalen Approbationen, zu seinem Rechte gelangt. Es ist die gegebene historische Situation für das Hervortreten des Heiligen, oder um im Politi sehen zu bleiben, des homo a deo excitatus. Ein Wunder muß geschehen, und das Wunder wird wieder geglaubt.
Pag. 278 |
X.
Pag. 279 |
Nun wird in der ein Jahr später erscheinenden „Politischen Theologie“ der Souveränitätsbegriff weiter verfolgt, und diese Schrift verlegt, wie der Titel schon sagt, den Souveränitätsbegriff ausschließlich in die Theologie. Daß die Souveränität kein „Zwangs- oder Herrschafts-, sondern ein Entscheidungsmonopol“ ist, garantiert diese Wendung und schließt alle ferneren Mißverständnisse aus. Als Kennzeichen der Souveränität erscheint jetzt die schon erwähnte Befugnis, das geltende Gesetz aufzuheben. Diese Befugnis kann ihrem Sinne nach nur einer der Politik überlegenen geistigen Macht zustehen, die ein höheres als das politische Gesetz zur Geltung bringt. Wenn Schmitt sich auf Bodins „Vraies remarques de souveraineté“ (Kap. X des I. Buches der Republik) bezieht und es als Bodins Leistung und Erfolg bezeichnet, daß er die Dezision in den Souveränitätsbegriff hineingetragen hat, so erinnert man sich, daß Bodin eigentlich nur eine kommissarische Diktatur kannte (die die Souveränität des Auftraggebers voraussetzt), aber keine souveräne Diktatur. Eine souveräne Diktatur übte damals und übt auch heute noch de facto nur der Papst aus, dem sie von den Konzilien übertragen ist; wobei man streiten kann und lange gestritten hat, ob diese Diktatur zu Recht besteht, oder in welchem Sinne sie zu Recht besteht. Dies ist das Problem der kirchlichen Unionsbestrebungen.
In „Diktatur“ ist Schmitt sein Personalismus gefährlich geworden, ebenso wie de Maistre der Begriff des „legitimen Usurpators“ gefährlich wurde. Aber die gewaltige begriffliche, die erschöpfende wissenschaftliche Leistung dieses Buches scheint ihm die Dinge in einem neuen, demütigeren Lichte zu zeigen. Er verbindet das Problem der Souveränität jetzt mit dem der Rechtsform überhaupt, und das schließt eine individuelle Lösung, wie sie das Diktaturbuch für möglich hielt, aus; es sei denn, daß das Individuum und die höchste, ideologische Instanz zusammentreffen, was man von Cromwell, Münzer, Mazzini und anderen individuellen Versuchen, eine souveräne Diktatur außerhalb der Kirche zu errichten, nicht behaupten kann.
Pag. 280 |
*„Le sentiment tragique de la vie“ (Paris 1917), chap. IV, L’essence du catholicisme.
Kapitel II der „Politischen Theologie“ setzt der Verfasser sich über das Formproblem mit der neueren deutschen Rechtsphilosophie auseinander. Ein energischer Personalismus verdeutlicht dann den Abstand, in dem sein System zu dieser unserer Zeit steht, deren anonyme, unpersönliche Physiognomie eine autonome Besinnung nahezu ausschließt. Kelsens Lehre, wonach der Staat die Rechtsordnung selbst ist, kann Schmitts theologischer Einsicht so wenig emsprechen, wie die Krabbes, wonach der abstrakte Staat selbst souverän ist. „Das Rechtsinteresse ist nicht das höchste Interesse“, das der metaphysischen Person steht höher. Erich Kaufmanns „Kritik“ der neukantianischen Rechtsphilosophie“ (und ihrer sterilen Abstraktionen) erscheint als „die jeinzige Äußerung einer neuen, geistigen Intensität“. Kaufmann treibt nicht erkenntnistheoretische Spiegelfechterei, sondern Geschichtsphilosophie. Er folgt den gegebenen Fakten, statt Abstraktionen sich über den Kopf wachsen zu lassen. Er stellt den Staat, nicht das Recht in den Mittelpunkt kritischer Betrachtung. Der in Begriffsklitterungen befangene Neukantianismus vermag das anstürmende Leben nicht zu bändigen. Kaufmann warnt davor, den Rest von Irrationalität zu vergewaltigen, der sich rationaler Formulierung noch entzogen hält; doch irrational heißen hier wieder die Lebenskräfte ganz allgemein, nicht die Gründe der ratio. So endet auch Kaufmanns Kritik beim Problem der obersten Form, ohne daß deutlich würde, worin diese Form denn nun beschlossen läge.
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XI.
Es fehlt aber noch das wesentlichste Element der Rechtsform, ihre universale Verbindlichkeit. Was Schmitts Rechtslehre zur politischen Theologie stempelt, ist die eigenartige Einführung und Anwendung einer von ihm meisterhaft gehandhabten Analogie zwischen politischer und theologischer Norm, zwischen Theologie und Jurisprudenz. Bei seinen ideen-geschichtlichen Untersuchungen ergibt sich die merkwürdige Tatsache, daß die staatsrechtlichen Konstruktionen der Legislateure jeweils den metaphysischen Konstruktionen der Denker entsprechen. Dieses „Gesetz“, diese Analogie gewinnt in Schmitts Händen den “Wert einer unfehlbaren Methode, wo es gilt, den Sinn sowohl einer politischen Doktrin wie einer ihr übergeordneten metaphysischen Notion zu erschließen. Die Existenz solcher Analogie kannten schon Descartes und Leibniz. „Merito partitionis nostrae exemplum“, so äußerte sich der letztere, „a theologia ad jurisprudentiam transtulimus, quia mira est utriusque facultatis similitudo“. Bei Schmitt führt die Analogie, nachdem sie erst nur der historischen Erkenntnis diente, zuletzt zur Feststellung der Theologie als der obersten Form der Jurisprudenz, insofern deren Begriffe samt und sonders in der Theologie beschlossen sind und aus ihr hervorgehen. „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre“, heißt es im III. Kapitel der „Politischen Theologie“, „sind säkularisierte theologische Begriffe. Nicht nur ihrer historischen Entwicklung nach, weil sie aus der Theologie auf die Staatslehre übertragen wurden, indem z. B. der allmächtige Gott zum omnipotenten Gesetzgeber wurde, sondern auch in ihrer systematischen Struktur, deren Erkenntnis notwendig ist für eine soziologische Betrachtung dieser Begriffe.“
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Neben der Antithese von ratio und irrational ist die juristisch-theologische Analogie das wesentlichste Strukturprinzip der Schmittschen Schriften. Genau besehen aber sind beide Prinzipien ein und dasselbe. Denn die Theologie verhält sich zur Jurisprudenz — das meint auch die partitio nostra des Leibniz — wie das Irrationale höheren Sinnes sich zur ratio verhält. Auch in diesem Zusammenhange knüpft Schmitt an Resultate der „Politischen Romantik“ von 1919 wieder an. Dort hatte er die Analogie zum ersten Male erwähnt und verwertet. „Diktatur“ war ein Abweg, oder sie ist schon vor dem Romantikbuche entstanden. In „Diktatur“ stimmte die Antithese mit der Analogie nicht überein; das führte zu einer Verwirrung der Grundbegriffe. Die Einheit des Schmittschen Werkes beruht in der Erhellung der Vernunftbeziehungen zum Übervernünftigen als ihrem Formprinzip. Diese Beziehungen aber sind akkurat die Beziehungen der Jurisprudenz zur Theologie, und nicht wie in „Diktatur“ die Beziehungen der Jurisprudenz zur Willkür einer Usurpation.
Ich möchte nicht unterlassen, in aller Kürze einige Beispiele der Analogie anzuführen. In „Politische Romantik“ zeigt Schmitt, weshalb der typische Romantiker die Wirklichkeit nicht zu begreifen vermag. Er ist dazu außerstande, weil er die höchste begriffliche Realität, diejenige Gottes, durch zwei Pseudo-Realitäten, Gemeinschaft und Geschichte, ersetzt sieht, die er als Autoritäten empfindet, ohne daß sie es seien. Der Romantiker, das Genie der Zeit, dessen Aufgabe es wäre, die Zeit zu begreifen und zu gestalten, sieht sich der völligen Unmöglichkeit gegenüber, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Er ist zur Impotenz, zur endlosen Diskussion, zu einer haltlosen Rhetorik verurteilt. Er sucht seine Freiheit im skeptischen oder ironischen Konsentement, in wohlfeilen Sophismen. Er vermag das Problem weder zu entscheiden, noch zu realisieren, weil ihm der höchste Begriff, die Realität Gottes, zerstört ist. Darum aber vermag Schmitt seinerseits die Romantik in einer so eminenten Weise zu begreifen, weil ihre politische Situation ihn zu ihrer metaphysischen und theologischen Struktur führt, wo sich denn die Konflikte dieser Bewegung in universaler Vielfalt erschließen.
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In Schmitts letzter Schrift „Römischer Katholizismus und Politische Form“ findet sich der abschließende Satz, daß ein mechanistisches Zeitalter sich das höchste Wesen überhaupt nur außerhalb der Dinge als allgemeinen Beweger, als Monteur und Installateur der kosmischen Maschine denken könne, und in derselben Schrift begegnet die wichtige Feststellung der Religion einer modernen europäischen Gesellschaft, die eine Religion der Privatsache und des Privateigentums genannt wird.
XII.
Es ist immer wieder überraschend, wie sehr bei Schmitt die typische Fragestellung des Thomismus nachwirkt oder wiederauflebt; jenes ganz zur Erfahrung geneigten mittelalterlichen Systems, das die Irrationalität der Dogmen verteidigte, indem es zu zeigen versuchte, daß die Übervernünftigkeit dieser Dogmen nicht eben widervernünftig, oder gar unvernünftig zu sein brauche, und das alle Kräfte der ancilla philosophia darauf verwandte, die Verbindungen von Übervernunft und Vernunft, von Theologie und Philosophie, von Heilig und Profan abzugrenzen.
— Auch in „Römischer Katholizismus und Politische Form“ steht das Problem der ratio im Mittelpunkte der Gestaltung, einer sehr kunstvollen Gestaltung, die so sehr gelungen ist, daß die wissenschaftliche Frage auch stilistisch ins theologische Geheimnis mündet. Schon der Titel zeigt das oben konstatierte Gegensatzpaar von Theologie und Politik; nur ist der Gegensatz jetzt in die absolute Sphäre gehoben. In dieser Sphäre wird aus der Theologie ein »Römischer Katholizismus« und aus der Politik die „Politische Form“. Um es vorwegzusagen: es ist auch der andere Gegensatz von Irrational 'und Rational, mit der radikalen Zuspitzung, daß beide Antithesenglieder jetzt in die Theologie verlegt sind: insofern nämlich dem „Römischen Katholizismus“ auch die rationale Formkraft der Politik gegenüber zuerteilt wird. Mit anderen Worten: die römische Kirche hütet die Irrationalität und gelangt bei der Erfassung und Normierung des materiellen Status zur Ausprägung der rationalen Formen.
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Daß die soziologische Konsequenz zum römischen Katholizismus führen mußte, kann bei dem retrospektiven Bestreben dieser Methode nicht überraschen. Alle Begriffe der Legislative und Metaphysik, die im europäischen Geschichtsverlauf der letzten Jahrhunderte hervortraten und auf die Gestaltung der Gesellschaft Einfluß gewannen, gehen auf die mittelalterliche Suprematie der römischen Kirche und weiterhin darauf zurück, daß diese Kirche, wie Schmitt sagt, „im größten Stile die Trägerin juristischen Geistes und die wahre Erbin der römischen Jurisprudenz“ ist. Das Verhältnis ihrer überrationalen Einsichten zum Staat zu bestimmen, ist ihr spezifischer Beruf, seit die Nachfolger Petri das Brückenamt des akrömischen Pontifex maximus übernahmen. Nicht als ob es seitdem kein römisches Recht außerhalb der Kirche gebe: aber so gewiß der griechische Areopag die oberste Kult- und Rechtsbehörde zugleich war, so gewiß war es der altrömische Pontifex maximus, und ist es der christliche.
Die ratio ist die Brücke vom konkreten Gott zum konkreten Volk, .und nicht etwa, wie in den sogenannt rationalistischen Werken die Brücke von einer skeptischen und abstrakten Philosophie zu einer dämonischen Wirklichkeit. Die ratio setzt den Glauben an Realität Gottes und eine Repräsentation, eine Vergegenwärtigung dieses Glaubens voraus. Der Rationalismus der Kirche beruht nach Schmitt „im Institutionellen“, in einer „spezifisch formalen Überlegenheit über die Materie des menschlichen Lebens“. Der katholischen Argumentation liegt eine „besondere, an der normativen Leitung des sozialen Lebens interessierte, mit spezifisch juristischer Logik demonstrierende Denkweise“ zugrunde, und diese formale Eigenart des römischen Katholizismus „beruht auf der strengen Durchführung des Prinzips der Repräsentation“. Der Papst ist nicht der oberste Prophet, sondern der Stellvertreter, der Vikar Christi; er repräsentiert die abwesende, ekstatische, irrationale Person Christi, repräsentiert die Gemeinschaft der (in der Ekstase abwesenden) Heiligen, den Leib Christi, die Kirche. „In solchen Distinktionen“ (nicht Prophet, sondern Stellvertreter), sagt Schmitt, »liegt die rationale Schöpferkraft der Kirche«. In der Repräsentation liegt ihr Wille zur Verantwortung, ihre publizistische Form, im Gegensätze zu all den Religionen, deren Überzeugung Privatsache ist.
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Es ist kein Zufall, wenn Schmitt gegen Sorel die lebendige Eschatologie einiger neueren Katholiken (Veuillot, Bloy, Cortes, Robert Hughes Benson) verteidigt. Er hätte an dieser Stelle vor allem auch auf die Heilig- und Seligsprechungen der letzten Jahrzehnte hinweisen können, in denen die von Sorel bestrittene „mythologische“ Vitalität der Kirche und ihr Gericht kanonisch zum Ausdruck kommen. Die Eschatologie ist mit den Fragen der Repräsentation, wie Schmitt sie behandelt, aufs engste verbunden. Die repraesentatio entspringt dem Streben nach Dauer und Endgüliigkeit. Institutionen ist sie die Gegenwart über den Tod hinaus und in ihrer Spitze die Allgegenwart. Unamuno in seiner Philosophie des Irrationalen erklärt den (der Repräsentation zugrunde liegenden) „soif d'immortalité“ für die eigentlich christliche und katholische Entdeckung. „Quid ad aeternitatem? Voilà la question capitale. Specifiquement religieux dans le catholicisme c’est l’immortalisation et non la justification à la manière protestante.“ Die institutionelle Repräsentation ist die Vergegenwärtigung der Immortalität: der Dauer. Sie gibt dem römischen Katholizismus jenes „Pathos der Autorität“, das Schmitt als ihre politische Macht bezeichnet, jene Würde und Überlegenheit über den politischen und sozialen Zufall. Darum kann sie jederzeit zur Quelle neuen Rechts werden, weil jede neue politische Konstellation ihr Gesetz und ihr Maß nur vom Absoluten beziehen kann. Die Dauer, wc sie repräsentiert wird, entscheidet; denn (mit Unamuno zu sprechen) „qu’y a-t-il de plus utile. de plus souverainement utile, que d’avoir une âme destinee à ne jamais mourir?“ Und so ist in den repräsentativen Formen des römischen Katholizsmus auch jenes Pathos der Entscheidung enthalten, das Schmitt in früheren Schriften als „souveräne Diktatur“ bezeichnete. Diese Welt des Repräsentativen ist es, die der Kirche ihre Kraft zur dreifach großen Form gibt: „zur ästhetischen Form des Künstlerischen, zur juridischen Rechtsform und endlich zu dem ruhmvollen Glanz einer weltgeschichtlichen Machtform“.
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Damit sind wir beim Ausgangspunkt wieder angelangt: beim Gegensätze des Ideologen zum modernen mechanisierten Konsum. Der kapitalistische Industriestaat von heute wie der sozialistische von morgen, beide kennen und anerkennen weder Form noch Repräsentation; sie haben nicht einmal die Kraft zu einer eigenen Sprache. Sie sind auf Bedürfnissen aufgebaut, die identisch sind mit dem Nichts. Ihr fatalistisches Ziel ist ein sich selbst regierender, selbst regulierender Ablauf von Wirtschaftsprozessen. Mit einem Automaten aber ist keine persönliche, politische, ideologische, keine vernünftige Verbindung möglich. Solange sich dieser Staat mit erstaunlicher Inbrunst im Widervernünftigen aufhält, kann ihn eine Vermittlung übervernünftigen Werte kaum interessieren. Doch die Kirche kann warten. „Sub specie ihrer alles überlebenden Dauer wird sie die complexio alles Überlebenden sein.“
Fonti iconografiche e sonore:
1. Hugo Ball: Flight Out of Time
2. artesonoro. E’ possibile ascoltare il sonoro della celebre poesia di Hugo Balla “Karawane”.
3. Dada - The AntiWar Art Movement.
4. Hugo Ball. Studiò dal 1906 al 1910 germanistica, sociologia e filosofia in Munchen e Heidelberg. Scheda biografica del Projekt Gutenberg-DE.
5. Myspacemusic.
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