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| Hugo Ball (1886-1927) | 
Hugo Ball nacque a Pirmasens (Renania-Palatinato) il 
22 febbraio 1886 e morì a Sant’Abbondio (oggi Gentilino) il 14 settembre
 1927, all’età di 41 anni. Il saggio che segue fa parte della 
Bibliografia su Carl Schmitt ed apparve in Hochland, 1924, Juniheft, p. 
263-286. Fece le scuole secondarie a Zweibrücken, studiò a Monaco, 
Heidelberg e Basilea. Di formazione pietista, poi convertitosi al 
cattolicesimo, Ball fu lettore di Friedrich Nietzsche. Visse a Berlino. 
Emigrò in Svizzera nel 1915. Fu tra i fondatori del dadaismo e svolse 
come giornalista attività di critica culturale e politica. Il suo 
articolo sulla teologia politica di Carl Schmitt sarà poi ripreso dai 
nazisti per un attacco a Schmitt nel gennaio 1937 dall’Ufficio di Alfred
 Rosenberg, preposto alla sorverglianza sull’ortodossia ideologica di 
ogni funzionario del regime, specialmente se accademico. Hugo Ball è da 
annoverare fra gli amici più intimi di Carl Schmitt insieme con altri 
importanti scrittori come Ernst Jünger e Robert Musil. Dalla Biografia 
di Bendersky: «Per un breve periodo Schmitt intrattenne rapporti 
amichevoli anche con Hugo Ball che, dadaista, in quel periodo era 
cattolico. BalI fu così impressionato dalla prima lettura di un lavoro 
di Schmitt che esclamò: “[. . .] nella sua qualità di pensatore 
cattolico [questo giurista] è un novello Kant”. All’inizio dell'estate 
del 1924, quando finalmente ebbe modo di conoscere questo suo 
ammiratore, tra Schmitt e la famiglia di Ball nacque un rapporto molto 
stretto: continuarono a scambiarsi lunghe lettere finché, nel 1925, i 
legami si ruppero a causa di dissapori personali non meglio precisati, 
anche se all’apice del suo entusiasmo Ball aveva pubblicato un lungo 
articolo su 
Hochland, in cui aveva reso omaggio a Schmitt come difensore del cattolicesimo e della civiltà europea» (trad. it., p. 79).
Hugo BALL
Carl Schmitts politische Theologie 
in:
Hochland, 1924, B. XXII, Juniheft, S. 263-286 
Hochland. - 
Monatschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur und Kunst, 21. Jg. April 1924 – September 1924, Bd. 2, p. 261-286. Il testo è stato ripubblicato in: Jacob Taubes (Hrsg.), 
Der Fürst dieser Welt. Carl Schmitt und die Folgen, Ferdinand Schöningh – Wilhelm Fink Verlag, 1983, pp. 100-115.
I.
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| Pag. 263 | 
Carl Schmitt fa parte di quei pochi intellettuali tedeschi che sanno 
fronteggiare i rischi professionali di una cattedra dei nostri giorni. Ja ich stehe nicht an zu behaupten, daß er 
den Typus des neuen deutschen Gelehrten überhaupt erst für sich erobert 
und inauguriert hat.Wenn die Schriften dieses merkwürdigen Professors 
(um nicht Konfessors zu sagen) nur dazu dienten, die katholische 
(universale) Physiognomie ihres Verfassers erkennen und studieren zu 
lassen, es würde vollauf genügen, ihnen einen überragenden Rang zu 
sichern. Chesterton sagt einmal in einem schönen Essay „Von den 
Idealen“, daß unserer verworrenen und argen Zeit zu ihrer Sanierung 
keineswegs der große Praktiker nottut, nach dem alle Welt verlangt, 
sondern der große Ideologe. « Ein Praktiker, das ist ein Mensch, 
eingewohnt in die Alltagspraxis, in die Art, wie die Dinge gemeinhin 
funktionieren. Wenn aber die Dinge nicht arbeiten, dann braucht man den 
Denker, den Mann, der sowas wie eine Doktrin hat, warum die Dinge 
überhaupt funktionieren. Es ist unrecht, zu geigen, während Rom brennt, 
aber es ist ganz in der Ordnung, die Theorie der Hydraulik zu studieren,
 während Rom brennt ». Carl Schmitt gehört zu denen, die „die Theorie 
der Hydraulik studieren“; er ist mit seltener Überzeugung Ideologe; ja 
man kann sagen, daß er diesem Wort, das unter Deutschen seit Bismarck 
eine üble Bedeutung hat, wieder zu Ansehen verhelfen wird.

Was
 bezeichnet den Ideologen? Wie kommt er zustande? Er hat ein 
persönliches, fast ein privates System, dem er Dauer verleihen möchte. 
Er gruppiert alle Lebenstatsachen, gruppiert seine ganze Erfahrung um 
die eine Grundüberzeugung, daß Ideen das Leben beherrschen; daß das 
Leben niemals nach seinen Bedingungen, sondern nur nach freien, 
unbedingten, ja bedingenden Einsichten, eben nach Ideen, geordnet und 
aufgebaut werden kann. 
 Die Exaltierung und Hartnäckigkeit dieser seiner Überzeugung macht die 
Größe des Ideologen aus. In einer Zeit, die das Nichts anbetet, indem 
sie die Ideologie bekämpft oder belächelt, in solcher Zeit wird der 
Ideologe genötigt sein, seine Basis zu prüfen. Er wird zum Politiker und
 schließlich zum Theologen werden, ehe er sich's versieht. Man könnte 
sagen, daß in der engelmacherischen Tendenz unserer Zeit ihre letzte 
Hoffnung beschlossen liegt. Wie dem auch sei: in Carl Schmitts Werk 
findet die Ideologie einen ihrer schärfsten und glühendsten Verteidiger.
 Sein Ausgangspunkt ist das Recht, die Rechtswissenschaft; er ist 
Professor der Rechte in Bonn. Seine ersten Schriften handeln von „Schuld
 und Schuldarten“ (1910), von „Gesetz und Urteil" (1912). Doch findet 
sich schon der Übergang zur politischen Philosophie („Der Wert des 
Staates und die Bedeutung des Einzelnen“, 1914). Es gibt kein Recht 
außerhalb des Staates, und es gibt keinen Staat außerhalb des Rechts. Da
 kann es auch keine Gerechten geben, die nicht den Staat als die nächste
 Instanz der Idee anerkennen („Politische Romantik“, 1919, Duncker 
& Humblot, dort auch die späteren Schriften). In den späteren 
und letzten Schriften erweitert sich die Instanzenfrage zur Frage nach 
der letzten bestimmenden Autorität und Form, womit die juristische 
Interpretation einer „Politischen Theologie“ ihren Abschluß erfährt.
II.
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| Pag. 264 | 
Das nun ist die Eigenart dieses Gelehrten: Das 
Problem des Ideologen ist ihm nicht nur bewußt; er baut gerade aus 
diesem Problem, aus diesem Erlebnis sein Werk in allen Bezügen und 
Folgen auf. In der Gewissensform seiner Begabung erlebt er die Zeit.  
Das gibt seinen Schriften ihre seltene Konsistenz; das gibt ihnen jene 
universale Geschlossenheit, in der sie sich präsentieren. Er verfolgt 
eine angeborene juristische Neigung, um nicht zu sagen seine formale 
Gesinnung, bis in den letzten bedingenden Grund, mit einer 
ungewöhnlichen Kraft der Dialektik und ebenso ungewöhnlicher 
Sprachgewalt. Das Resultat zeigt eine Verflochtenheit der Rechtsfrage 
mit allen soziologischen und ideologischen Instanzen. Man könnte auch 
sagen: da ihm die Rechtsidee einmal verliehen ist, sucht er dem Faktum 
Dauer zu verleihen, erhebt er die ihm verliehene Gabe zu ihrem höchsten 
erreichbaren Wert. Er möchte die Rechtsidee nicht nur erkennen, sondern 
womöglich sie repräsentieren, selbst sein. Das ist katholisch, 
eschatologisch gedacht. Das führt ihn zu den Fragen der Diktatur und 
Repräsentation, wie sie in seinen letzten Schriften behandelt sind.

Die
 Tendenz zum Absoluten, die ihn charakterisiert, ist jedoch keineswegs 
auf Abstrakta gerichtet, wie bei den großen Systembaumeistern des Barock
 und der Aufklärung, sondern konkret eingestellt. 
 Sie führt auch in ihrer letzten Konsequenz nicht zu einer alles 
bedingenden Abstraktion, heiße sie Gott, Form, Autorität oder sonstwie, 
sondern zum Papste als der absoluten Person, der eine abermals konkrete 
Welt irrationaler, der logischen Erfassung weiter nicht zugänglicher 
Personen und Werte repräsentiert. Wie nur irgendein Kantianer geht 
Schmitt von apriorischen Begriffen, eben von seiner Rechtsideologie aus.
 Nur begnügt er sich nicht, diese seine Begriffe um ihrer selbst willen 
zu definieren und miteinander in Beziehung zu setzen. Sein Verfahren ist
 anders. Er sucht seine Rechtsbegriffe im gegebenen Staate und ferner in
 der Tradition nach ihren letzten Zusammenhängen, nach ihrer 
Vergesellschaftung mit allen anderen höheren Kategorien (Philosophie, 
Kunst, Theologie) progressiv zu ermitteln.

Als
 Soziologe, dem kein irgendwie belangvolles Detail des näheren oder 
entfernteren Lebens entgeht, fragt er überall nach der wirklichen 
Anwendung des Rechts, um so, den Tatsachen folgend, zu ihrer letzten 
bestimmenden Form zu gelangen. 
 Er stellt keinen Idealstaat, keine Utopie auf; er läutet kein vorher 
zurechtgeklügeltes systematisches Glockenspiel. Das Gefüge der letzten 
Instanzen, das sich ihm schließlich enthüllt, ist ein Organismus, nicht 
eine Maschine; ein freischwebendes Planetarium, nicht eine oktroyierte 
Konstruktion. Die völlige Unsentimentalität dieses Werkes erweist sich 
darin, daß keinerlei Gefühlswerte, nicht einmal die höchsten, als 
Ausgangspunkt gelten. Die Moral beginnt mit gesicherten Rechsbegriffen; 
diese freilich umschließen in ihrer Vernunft alle höheren irrationalen 
Werte. Die Juristik, wie Schmitt sie interpretiert, ist die rationale 
Präsenzform der Ideen.
III.
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| Pag. 265 | 
Vergleicht man Schmitts Werk mit dem seiner 
Vorbilder, so tritt das unterscheidende Merkmal deutlich zutage. Bonald 
und de Maistre sowohl wie Donoso Cortes gingen aus katholischen Nationen
 hervor und aus einer Zeit, in der das ideologische Weltbild zwar in den
 Grundfesten erschüttert, aber nicht zerbrochen und völlig verwüstet 
war. Ihr Ausgangspunkt ist ein festes legales Gefüge, das bei Bonald und
 de Maistre in der monarchistischen Restauration, bei Cortes in der 
gegenreformatorischen Überlieferung seiner spanischen Heimat stark 
lebendige Stützen findet.  Der theologische Staat ist umstritten, aber 
noch nicht zerstört; er erweist täglich noch seine vitale Kraft. Der 
Gegensatz von Glaube und Wissen, in wie kritischen Formen immer, 
beherrscht die Köpfe; hier aber und heute will der verlorene Glaube erst
 wieder gefunden und erhoben werden. Die Scholastik und ihre 
rationalistische Nachfolge vermochte Systeme zu bauen, die aus der 
Allgegenwart eines Axioms geboren, alle Vielfalt der Argumente um eine 
anerschütterte Achse gesammelt hielten. Seit die Verneinung indessen 
auch in die Metaphysik eindrang, mit Proudhon und Bakunin, ist das 
Zentrum der alten Legalität zertrümmert, und es gilt, die Einheit auf 
neuen Wegen wiederzugewinnen. Der Verzicht auf die Autorität war das 
Signum der letzten gepriesenen Philosophie unserer Zeit. Die Person 
selbst ist dieser Philosophie zweifelhaft geworden, zweifelhaft der Sinn
 und Wert irgendeines Bekennens. Omnipotent ist die Maschinerie; eine 
dämonische Welt täuscht Leben und Ebenmaß vor, ohne auch nur eine Seele,
 geschweige denn Geist oder gar eine Hieratik zu haben. Und so glossiert
 das Genie, als Rebell oder Dandy gekleidet, den dumpfen Bankrott der 
Kultur und empfindet sich als den Hort alles höheren Lebens.

In
 seinem Interesse für den Komplex der Romantik opfert auch Schmitt 
dieser Situation. Das Wesen des Genies reicht in die blinden, 
antinomistischen, triebhaften Gründe der Natur ebenso wie in die 
übervernünftige Sphäre der religiösen Welt. Die Loslösung von den Normen
 einer erstarrten Sozietät gibt den illegalen Instinkten sogar eine 
gewisse Vernunft. 
 Der Todfeind der Romantik, als der Schmitt sich gelegentlich erweist, 
bekämpft in ihr die irrationale Gefahr seines eigenen schöpferischen 
Fonds, dessen Klärung seine Schriften sämtlich gewidmet scheinen. Der 
Charakter des Organischen, den diese Schriften zeigen, weist darauf hin.
 Schmitt ist Theologe und römischer Katholik keineswegs bereits bei 
seinem ersten Schritte. Sein Werk entfaltet sich unter Schmerzen nicht 
nur technischer Natur, in einem bunten Nacheinander von grimmiger 
Diatribe und objektiver Untersuchung, von definierendem Diktat und 
kunstvoller Apologie. Die Resultate sind schrittweise errungen aus 
Konsequenzen; ein Neben- und Übereinander der Stimmen begleitet die 
Konzeption. Eine gewisse Aphoristik weist auf Vereinsamung hin, doch von
 den Gefahren eines abseitigen Individualismus ist Schmitt durch eine 
Welt getrennt. Die soziale Natur der Rechtsbegriffe sichert ihm eine 
stete Verbundenheit mit der Norm, und so tritt klarer und schärfer mit 
jedem Werk die Grundform hervor, nach der das System sich entfaltet. Der
 irrationale Fond einer großen Persönlichkeit und ihrer Zeit wird aus 
den Naturfesseln sowohl wie aus der Ekstase völlig in den Begriff 
überführt.
IV.
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| Pag. 266 | 
„Politische Romantik” ist die erste Schrift, mit der 
Schmitt vor einem Publikum von nicht nur Sachverständigen erschien. Eine
 ungewöhnliche Formkraft unternimmt den Versuch, die pseudologia 
phantastica der Romantik auf politische Normen zu reduzieren. 
 Eine allgemeine Vertauschung und Vermengung der Begriffe, eine 
schrankenlose Promiskuität der Worte und Werte ist nicht nur für die 
Romantik bezeichnend; sie ist seit der Romantik zum Allgemeingut der 
Gebildeten geworden. Eine mystisch-ästhetisch-spiritualistische 
Gesinnung grassiert, die Tröltsch noch im Jahre 1912 als die heimliche 
Religion der Gebildeten des modernen protestantischen Deutschland 
bezeichnen konnte. Schmitts Denkart ist im Gegensatz dazu sehr aufs 
Unheimliche, Publizistische gerichtet. Er vermag dem allgemeinen 
Nebelwesen wenig Reiz abzugewinnen. Dort die Ausflucht in allen Formen, 
hier der strikte Wille zur Überwindung. Dort alle Symptome einer 
Willenserkrankung, hier eine einschneidende, inquisitorische 
Intelligenz. Ein Jurist, der Grammatik dozieren könnte, räumt mit den 
Wirrnissen eines verstiegenen Geniekults auf. Der romantische Proteus 
gerät in eine Zwangsjacke der Logik. Die romantischen Sprachsurrogate 
empfangen eine Artikulation, die kaum zu überbieten ist.
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| Con Emmy Hennings | 
Das Thema erscheint begrenzt. Nicht der Romantik 
überhaupt, sondern der politischen Romantik gilt das Pamphlet. Und 
eigentlich auch nur der deutschen Romantik, und zuletzt nur noch Adam 
Müller. Um einen Hasen zu jagen, so konnte es scheinen, wird eine ganze 
Provinz abgesperrt. Auch könnte man finden, Schmitt spreche von etwas, 
das es gar nicht gibt.  Gerade darin aber triumphiert seine 
Überlegenheit, dieses imagimärste aller Themata logisch einzufangen, mit
 einer enormen Kunst der Definition, der Unterscheidung, der 
methodischen Register. Und da ergibt sich, daß Adam Müller vielleicht 
der künstlichste und spezifischste Vertreter dessen ist, was man die 
Politik oder Theologie der Romantik zu nennen pflegt. Er verwendet 
philosophische, ästhetische, politische und theologische Argumente in 
großer Zahl und in einer Weise, die alle einzelnen Disziplinen mit 
Ausnahme der Rhetorik kompromittiert. Von den Betroffenen interessieren 
Schmitt zumeist die politisch-theologischen Konstrukteure jener Zeit, 
die katholischen Staatstheologen der Restauration. Nietzsche bei Beginn 
seiner Karriere griff sich den „Bildungsphilister" David Strauß, in dem 
er die kritizistische Plattitüde seiner Zeit abschlachtete. Schmitt 
greift sich den „Staatstheologen" Adam Müller, in dem er die genialische
 Hypokrisie des Liberalismus zu Tode hetzt. Die Stringenz des Stils aber
 ist es nicht allein, was diese Broschüre inmitten der Verschwommenheit 
einer neuteutschen Literatur zu einem Unikum macht.
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| Pag. 267 | 
Über das romantische Thema weit hinaus interessiert 
die persönliche Fragestellung des Verfassers, der ideengeschichtliche 
Aufriß, den er gibt, die Prospekte, die er in Bewegung setzt, der 
Abgrund, in den die romantische Herrlichkeit klirrend versinkt.  Adam 
Müller, den man vor kurzem noch einen einsamen politischen Denker 
nannte, löst sich wie eine Seifenblase in bunten Schein auf. Der Windzug
 aber, der dies bewirkt, deutet auf eine Gewitterwolke. Die 
„Unvereinbarkeit der Romantik mit irgendeinem moralischen, rechtlichen 
oder politischen Maßstab“ mag keine neue Entdeckung sein; vielleicht ist
 sie es doch. Der Maßstab selbst aber, den Schmitt anlegt, ist in seinen
 Bestandteilen durchaus neu und von höchstem Interesse. Die politischen 
Angriffspunkte, die die Romantik bietet, führen nach rückwärts bis zu 
Malebranche und Descartes, nach vorwärts bis in die Gegenwart. Die 
Erfassung dieses beträchtlichen Komplexes muß über die innere 
Physiognomie des 18., 19. Und des beginnenden 20. Jahrhunderts die 
wichtigsten Aufschlüsse bieten.
V.

Die
 Romantiker, sagt Schmitt, versprachen eine neue Religion, ein neues 
Evangelium, eine neue Genialität. Von ihren Manifestationen in der 
gewöhnlichen Wirklichkeit aber gehörte kaum etwas vor ein Forum 
externum. Adam Müller insonderheit will das gescheiterte Unternehmen der
 französischen Revolution wieder aufnehmen und zu Ende führen, den 
Worten Religion, Philosophie, Natur und Kunst einen neuen Inhalt geben. 
Die Schranken der bisherigen mechanischen Zeit sollen gesprengt, die 
weltfremden Spekulationen der geistigen Revolution auf den Boden der 
Wirklichkeit verpflanzt werden. 
 Müller bezieht sich dabei auf Burke, Bonald und Maistre, die gegen die 
französische Revolution in originaler Weise Partei ergriffen. Er selbst 
findet indessen kein unmittelbares moralisches, sondern nur ein 
sensualistisches Pathos. Sein Buch über die „Notwendigkeit einer 
theologischen Grundlage der gesamten Staatswissenschaften“ gelangt über 
die Kunstfiguren einer leeren Oratorik, über ein Spiel mit fremdem 
Eigentum, über eine lyrische Staatsphilosophie nicht hinaus. Die 
wichtigste Quelle politischer Vitalität, der Glaube an das Recht und die
 Empörung über ein Unrecht, existiert für ihn nicht. In seiner 
ästhetischen Einstellung, wie in der willkürlichen und normwidrigen Art 
zu argumentieren, liegt „der Unterschied von allem politischen 
Irrationalismus, der in seinen Grundlagen mystischen oder religiösen 
Ursprungs ist, und bei dem das Gewebe von Beweisgründen, auf die auch er
 nicht verzichten kann, Emanation politischer Aktivität ist“.
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| Pag. 268 | 
Politischer Irrationalismus: da hat man das für die 
Romantik und auch für Schmitt entscheidende Wort. Mit Descartes beginnt 
die Erschütterung des alten ontologischen Denkens und die Verweisung der
 Realität an einen subjektiven und internen Vorgang, an das Denken, 
statt an die Gegenstände der Außenwelt. Die moderne Philosophie ist von 
einem Zwiespalt zwischen Denken und Sein, Begriff und Wirklichkeit, 
Geist und Natur, Subjekt und Objekt beherrscht, den auch die 
transzendente Lösung Kants nicht behoben hat; „sie gab dem denkenden 
Geist die Reälität der Außenwelt nicht wieder, weil für sie die 
Objektivität des Denkens darin besteht, Daß es sich in objektiv gültigen
 Formen bewegt und das Wesen der empirischen Wirklichkeit, das Ding an 
sich, gar nicht erfaßt werden soll“.  Bald im subjektiven Denken, bald 
in der empirischen Wirklichkeit wird von nun an die Irrationalität, die 
Unerklärlichkeit, das Geheimnis des Daseins gesucht. Von dieser 
human-materiellen Herabstimmung des alten theologischen Problems datiert
 alle Verwirrung. Fichte sucht den Zwiespalt durch ein absolutes Ich zu 
beseitigen, die Romantik will denselben Konflikt durch die gemachte und 
bewußte Heteronomie des Genies beheben. „Die höchste und sicherste 
Realität der alten Metaphysik", sagt Schmitt, „der transzendente Gott, 
war beseitigt. Wichtiger aber als der Streit der Philosophen war die 
Frage, wer seine Funktionen als höchste und sicherste Realität und damit
 als Legitimationspunkt in der historischen Wirklichkeit übernahm“. Zwei
 neue, diesseitige Realitäten treten auf und setzen eine neue Ontologie 
durch. Völlig irrational, wenn man sie mit der Logik des achtzehnten 
Jahrhunderts betrachtet, aber objektiv und evident in ihrer 
Überindividuellen Geltung, beherrschen sie in realitate das Denken der 
Menschheit als die beiden neuen Demiurgen. Der eine, der revolutionäre 
Demiurg, ist die Gemeinschaft, deren verschiedene Gestalten als Volk, 
Gesellschaft, Menschheit wirksam werden. Seine Allmacht wurde im Contrat
 social von Rousseau proklamiert. Der andere, konservative Demiurg ist 
die Geschichte. Die Romantik sucht den Demiurgen irrationale Bedeutung 
abzugewinnen.

Mit
 unbegrenzten Versprechungen einer neuen Schöpfung war sie aufgetreten, 
mit ungeheuren Möglichkeiten, die sie der Wirksamkeit jener zwei neuen 
Realitäten entgegenzusetzen gedachte. 
 Der Romantiker sucht die Rolle des weltproduzierenden Ich zu behaupten;
 er gerät jedoch in Widersprüche, die aus dem Vorhandensein zweier von 
seinem Willen unabhängigen und seinem Subjekt überlegenen Realitäten 
entstehen. Er beginnt die nichtobjektivierte Möglichkeit als die höhere 
Kategorie auszuspielen; sucht aller rationalen Argumente sich zu 
entschlagen. In einer Flucht von Antithesen schafft er sich unermüdlich 
ein neues Alibi. Man will die Irrationalität der Person retten, auch die
 Irrationalität der Zeit, verfällt aber hier einem sentimentalen 
Pointilismus des Augenblicks, und dort den Illusionen einer erträumten 
Primitivität. Bald ist es der einfache Landmann, bald das 
„indeterminierte Kind“, bald das paradiesische Idyll der Natur, die zu 
Trägern des Numinosen werden. Erst in der Kirche, nach dem Verzicht auf 
alle Subjektivität, findet der Romantiker, was er sucht: »eine große 
irrationale Gemeinschaft, eine weltgeschichtliche Tradition und den 
persönlichen Gott der alten Metaphysik«. Damit aber hörte man auf, 
Romantiker zu sein.
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| Pag. 269 | 
Der Versuch, die rationale Mechanik der Zeit zu 
sprengen, mißlang aus zwei Gründen. Einmal weil die Romantik auf die 
entscheidende Stellungnahme im Kampf der Meinungen verzichtete, sodann 
weil sie glaubte, die Weltschöpferrolle auch gegen die Wirklichkeit 
behaupten zu können.  Und so lautet das Endurteil: Kein Argument hilft 
darüber hinweg, „daß einer, der argumentiert, sich eines rationalen und 
nicht eines irrationalen Vermögens bedient. Mochte auch von 
intellektueller Anschauung, von genialem Aufschwung, oder irgendeinem 
ändern intuitiven Vorgang gesprochen werden, mittels dessen besondere, 
dem bloßen Verstande nicht zugängliche Einsichten gewonnen werden 
sollten: solange ein philosophisches System prätendiert wurde, war der 
Widerspruch innerhalb des Systems nicht zu überwinden; solange aber more
 romantico Fragmente und Aphorismen die Resultate der intuitiven 
Tätigkeit vermitteln sollten, lag nur ein Appell an die gleichgesinnte 
Tätigkeit gleichgesinnter Seelen, also nur die romantische Gemeinschaft 
vor. Das Ziel alles philosophischen Bemühens, das Irrationale 
philosophisch zu erreichen, war nicht erreicht; in einer besonderen Form
 hatte die neue Realität, die societas, den Romantiker überwunden und 
gezwungen, an sie zu appellieren“.
VI.

Ich
 möchte gleich hier den Zusammenhang mit der „Politischen Theologie“ von
 1922 aufzeigen. Die beiden Bücher verhalten sich zueinander wie etwa 
die „Kritik der reinen Vernunft“ sich zur „Kritik der praktischen 
Vernunft“ verhält, und nicht nur, weil der Titel Kongruenzen aufweisen. 
Letzten Endes war die ganze Untersuchung in „Politische Romantik“ 
unternommen, um die großen politischen Theologen Burke, Bonald und de 
Maistre vor einer ferneren Verwechslung mit Talmipolitikern und 
Adapteuren wie Adam Müller und Fr. Schlegel zu schützen.
  Im vierten Kapitel der »Politischen Theologie« knüpft Schmitt 
ausdrücklich an Resultate des Romantikbuches wieder an, und zwar 
behandelt er nun ergänzend die Systeme der Bonald, de Maistre und Donoso
 Cortes. Von den beiden ersteren war bereits in „Politische Romantik“ 
vielfach die Rede, wo es galt, ihr besonderes, die Romantik 
desavouierendes Verhalten zum Problem der Realität hervorzukehren. An 
den Experimenten der Romantik dagegen war gezeigt, wie man es nicht 
machen darf, wenn man das Irrationale, die Freiheit, das Numinose 
sichern und repräsentieren will. Die Kirche erschien als die einzige 
Lösung der romantischen Versuche. Die „Politische Theologie“ ist also 
die Konsequenz des Weges, den die Romantik selbst einschlug. Die 
juristischen Definitionen dieses Buches, auf die ich noch zurückkomme, 
dienen der Lösung jener Konflikte, an deren Widersprüchen die Romantik 
scheiterte; und die katholischen Staatstheologen, deren Leistung nunmehr
 erörtert wird, verhalten sich zu den politischen Romantikern, wie sich 
das praktische Beispiel einer Verwirklichung zum theoretischen, aber 
mißlungenen Versuch verhält.
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| Pag. 270 | 
Das sind thematische Vergleichspunkte. Was die beiden
 Schriften dialektisch verbindet, ist folgendes: Bei der Analyse der 
romantischen Realitätsbegriffe ergab sich die eminente Wichtigkeit des 
Begriffs der Entscheidung. Romantiker sind Leute, die sich im 
Tatsachenbereich nicht entscheiden wollen, ja die aus der 
Unentschiedenheit eine Philosophie des Irrrationalen machen.  Jene 
katholischen Staatstheologen dagegen, „die man in Deutschland Romantiker
 nennt, weil sie konservativ oder reaktionär waren und mittelakerliche 
Zustände idealisierten“, de Maistre, Bonald, Donoso Cortes, bauen ihre 
Systeme geradezu auf dem Begriff der Entscheidung auf, und wer weiß, die
 Entscheidung enthält vielleicht das Problem der Form überhaupt. Den 
deutschen Romantikern ist eine originelle Vorstellung eigentümlich: das 
ewige Gespräch. Überall dagegen, wo die katholische Philosophie des 
neunzehnten Jahrhunderts sich in geistiger Aktivität äußert, „spricht 
sie in irgendeiner Form den Gedanken aus, daß eine große Alternative 
sich aufdrängt, die keine Vermittlung mehr zuläßt. Alle formulieren ein 
großes Entweder-Oder, dessen Rigorosität eher nach Diktatur klingt, als 
nach einem ewigen Gespräch“.

Bonald,
 der Begründer des Traditionalismus, ist weit entfernt von der Idee 
eines ewigen, sich von selbst entwickelnden Werdens. Niemals wird bei 
ihm der Glaube an die Tradition etwas wie Schellings Naturphilosophie, 
Adam Müllers Mischung der Gegensätze oder Hegels Geschichtsglaube. Die 
Menschheit ist ihm eine Herde von Blinden, geführt von einem Blinden, 
der sich an einem Stocke weitertastet; die Tradition bietet die einzige 
Möglichkeit, denjenigen Inhalt zu finden, den der metaphysische Glaube 
des Menschen akzeptieren kann. 
 Die Antithesen und Distinktionen, die ihm den Namen eines Scholastikers
 eintrugen, stellen moralische Disjunktionen dar, keineswegs Polaritäten
 der Schellingschen Naturphilosophie, die einen „Indifferenzpunkt" 
haben, oder bloße dialektische Negationen des Geschichtsprozesses. Er 
fühlt sich stets zwischen zwei Abgründen, zwischen dem Wesen und dem 
Nichts. Das aber sind die Gegensätze von Gut und Böse, Gott und Teufel, 
zwischen denen (nach Schmitt), „auf Leben und Tod ein Entweder-Oder 
besteht“. — Für de Maistre liegt der Wert der Kirche darin, daß sie 
letzte inappellable Entscheidung ist. Die Worte Unfehlbarkeit und 
Souveränität sind ihm „parfaitement synonymes“. Er erklärt die Obrigkeit
 für gut, wenn sie nur besteht; wesentlich ist, daß keine höhere Instanz
 die Entscheidung überprüft. — Bei Cortes vollends ist das typische Bild
 die Entscheidungsschlacht, die zwischen dem Katholizismus und dem 
atheistischen Sozialismus entbrannt ist. Es liegt nach Cortes im Wesen 
des bürgerlichen Liberalismus, sich in diesem Kampf nicht zu 
entscheiden, sondern statt dessen eine Diskussion anzuknüpfen. Cortes 
definiert die Bourgeoisie (Schmitt: die Romantik) geradezu als eine 
„diskutierende Klasse“, una clasa discutidora. „Damit ist sie 
gerichtet“, fügt der Interpret hinzu, und man versteht jetzt, weshalb er
 sich in „Politische Romantik“ die Eruierung der 
romantisch-liberalistischen Philosophie so angelegen sein ließ.
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| Pag. 271 | 
Gibt es überhaupt eine Wirklichkeit ohne 
Entscheidung? Ist die Wirklichkeit anders zu erfassen als durch Analyse 
und Urteil? Der Romantiker hatte die Selbstbespiegelung an Stelle der 
Objektivierung gesetzt. Weder Kosmos, Glaube, Volk, Geschichte 
interessierten ihn um ihrer selbst willen.  Der Staat als romantisches 
Objekt, das entspricht der romantisch-liberalistischen Ansicht der 
Dinge. Gleichwohl vermag auch der zerblasenste Romantiker die 
Entscheidung nicht zu umgehen. Vor die Alternative gestellt, muß auch er
 sich entscheiden. Er entscheidet sich für das »höhere Dritte«, für eine
 Synthese, die beide Gegensatzglieder anerkennt und sie in einer 
fingierten Überlegenheit zu einem Kompromiß führt. Es ist die 
furchtbare, durch Hegel populär gewordene Methode des Kompromisses von 
Gut und Böse, von Ja und Nein, die zum Grundübel des neunzehnten 
Jahr-hunderts wurde; eine Methode, von der Ernest Hello in seinem 
großmütigen Buche „Philosophie et Atheisme“ folgendermaßen sprach? „Si, 
en effet, l’affirmation et la négation sont identiques, toutes les 
doctrines deviennent égales et indifferentes. Voilà l’erreur radicale, 
fondamentale, immense de ce siêcle-ci; voilà la negation mêre; voilà ce 
doute absolu, qui est l’absence même de philosophie, érigé en 
philosophie absolue“.
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| Hochland Pag. 272 bis | 
In II, 2 der „Politischen Romantik“ geht Schmitt der 
metaphysischen Herkunft dieser „synthetischen“ Entscheidungsform nach 
und gelangt so zur Feststellung der »okkasionalistischen Struktur« der 
Romantik. Descartes ist die oberste Instanz dieser Denkart. Von dem 
Argument ausgehend, daß ich bin, weil ich denke, unterschied er Innen 
und Außen, Seele und Leib, res cogitans und res externa. Daraus ergab 
sich die Aufgabe, den Gegensatz in Einklang zu bringen, oder die 
Wechselwirkung von Leib und Seele zu erklären. 
 Die okkasionalistische Lösung, die in den Systemen von Geraud de 
Cordemoy, Geulinx und Malebranche unternommen wurde, bestand im 
wesentlichen darin, daß Gott als der höhere Dritte die Synthese der 
seelischen und körperlichen Äußerungen darstellt: alle irdische, 
endliche Wirklichkeit ist nur eine Okkasion, ein Anlaß für die allein 
wesentliche göttliche Wirksamkeit. In der Romantik nun tritt an Stelle 
Gottes das geniale Subjekt, das die äußere Welt analog als Okkasion 
seiner überlegenen synthetischen Produktivität auffaßt. Der Gegensatz 
der Geschlechter wird aufgehoben im „Gesamtmenschen“; der Gegensatz der 
Parteien und Individuen im „höheren“ Organismus, im Staate oder im Volk;
 der Zwiespalt der Staaten in der höheren Organisation, der Kirche. Was 
die Kraft hat, den Gegensatz nicht zu lösen, sondern zu lahmen, gilt als
 die wahre und höhere Realität. So beginnt Adam Müller mit einer Lehre 
vom Gegensatz, die eine absolute Identität ausdrücklich ablehnt und als 
letztes Prinzip eine Art „antitherischer Synthese“, ; eben den Gegensatz
 proklamiert. Schlegel stellte Malebranche noch über Descartes, Müller 
folgte ihm darin und Novalis erwähnt den Okkasionalismus häufig in 
seinen Fragmenten. Das Ziel war, über den toten, mechanischen 
Rationalismus des achtzehnten Jahrhunderts hinwegzukommen. Die 
politische und kulturelle Gefahr dieser Philosophie aber setzte dort 
ein, wo man begann, auch den Gegensatz von Legitimismus und Liberalismus
 nur durch Gott schlichten zu lassen, statt Partei zu nehmen. Da das 
Wesen der Dinge immer in einer anderen Sphäre gesucht wird, als der sie 
angehören, gerät die Spekulation in ein stetiges Voltigieren von einem 
Gebiet auf das andere. Das Schlimmste dabei ist, daß der Romantiker sich
 die Identität mit dem Schöpfer vorbehält; ohne sie auszuhalten. Eine 
fatale Abneigung gegen alle persönliche Aktivität führt zu einer 
Theologie, in der die Persönlichkeit Gottes selbst aufgehoben, und zu 
einer Politik, in der die Überzeugung gleichgültig ist.
VII.
|  | 
| Pag. 272 | 
Der künstliche Irrationalismus der Romantik steht im 
Widerspruche zur Wirklichkeit; diese letztere aber ist nach Schmitts 
klarer Lehre identisch mit der Entscheidung. Wie verhält sich nun eben 
die Entscheidung, die Wirklichkeit, zur nicht fingierten, sondern wahren
 Irrationalität? Wie verhält sich die Jurisprudenz zur höchsten Instanz?
 Indem Schmitt die beiden neuen Realitäten (Gemeinschaft und Geschichte)
 für Demiurgen erklärt, stempelt er sie zu blinden, unvernünftigen, 
eitlen Schöpfern, zu dämonischen Größen. Ihre Herrschaft beruht, wenn 
man das Wort im gnostischen Sinne nimmt, in einer Vermengung von 
übersinnlichen und materiellen Gewalten; in einem finsteren Trug, der in
 seinen Auswirkungen zu Katastrophen führen muß und geführt hat.  Auch 
Schmitt folgt bei der Ermittlung des Irrationalen den Entwicklungen der 
Gemeinschaft und der Geschichte, aber sie dienen ihm nur als Substrat 
der Entscheidung. Weit entfernt, an eine Vernunft der materiellen 
Geschichtsprozesse, oder gar an eine immanente Entwicklung zu immer 
höheren Formen zu glauben, vermag er weder dem Hegelschen Weltgeist, 
noch den marxistischen Wirtschaftsgesetzen einen sonderlichen Respekt 
entgegenzubringen; er sieht in derlei Geschichts- und 
Gesellschaftsdoktrinen nur Häresien, die nicht aufhören, ihrerseits 
Objekte einer entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung zu bleiben. Der 
Mensch als „Instrument der im dialektischen Prozeß sich entwickelnden 
Vernunft“ ist nicht seine Sache. Er sucht die metaphysische Freiheit, 
die mit der metaphysischen Realität identisch ist.

In
 seinem Buche „Die Diktatur“ (1921), das den politischen Begriff der 
ratio entwickelt, vermag er so wenig an eine im Geschichtsverlauf 
hervortretende kontinuierliche Vernunft zu glauben, 
 daß er die französische Revolution vor der englischen, und den pouvoir 
constituant vor der Diktatur Cromwells behandelt. Und noch 
entscheidender: diese mit Vernunftkategorien kaum zu erfassende 
Cromwellsche Diktatur erscheint ihm, allen rationalistischen Systemen 
zum Trotz, als die höhere, eigentliche Vernunft. Um die gottgewollte 
Abhängigkeit von den Tatsachen ist es in diesem Systeme schlecht 
bestellt. Eher scheint darin ein spontanes Hervortreten des Göttlichen 
im Chaos der Geschichte, scheint das politische Wunder gelehrt zu 
werden: die Durchbrechung der Naturgesetze durch die souveräne Person. 
Das führt zum Gegensätze von ratio und irrational, der in den 
verschiedensten Formen Schmitts Werk beherrscht.
VIII.
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| Pag. 273 | 
Diese Antithese hat in neuplatonischer Zeit zuerst 
jene grundlegende Erörterung erfahren, die die kirchliche Auffassung von
 der antiken in wichtigen Punkten trennt. Vernunft und Unvernunft sind 
bei Proklus und Dionysius Areopagita nahezu identisch mit dem Gegensätze
 von Gut und Böse, Gott und Dämon, Schöpfer und Demiurg.  Gut ist die 
hohe Vernunft; übel ist, was der Vernunft widerstreitet: das Geistlose, 
Ungeordnete, das Verharren im Materiellen; ein distanzloses 
Sichverhalten zur Zeit und Umgebung. Dem Begriffe „malum“ haftet 
indessen in jener eschatologisch orientierten Zeit keinerlei 
verdammende, moralistische Bewertung an. Das „Übel“ ist nur ein minderer
 Zustand der Natur, ein Defekt, ein Mangel an Einsicht, Kraft, 
Aufschwung; eine Verwirrung des Willens, ein Nochbewegtsein von 
physischen Leidenschaften. So ist der Gegensatz von ratio und irrational
 in jener frühen Zeit auch der Gegensatz von Ruhe und Bewegung, von 
Dauer und Zeit, von Unsterblichkeit und Tod, von absolut und bedingt. In
 dieser Gestalt geht die Antithese von Dionysius zu Thomas von Aquin und
 Albertus Magnus über. Aber schon in vorscholastischer Zeit scheint in 
der Praxis, wenn auch nicht in der Theorie, die moralistische 
Interpretation des Begriffes vom Übel gesiegt zu haben. (Einwirkung der 
augustinischen Tradition.) Während man nach orientalischer Auffassung 
böse war, wenn man an den Tod glaubte, statt an Christus, ist man nach 
neuerer Auffassung böse, wenn man sich den Diktaten eines längst nicht 
mehr kirchlichen Rationalismus entzieht.

Die
 klassischen Staatsphilosophen von Macchiavelli und Hobbes bis zu de 
Maistre und Cortes sehen im nichtrepräsentierten Volk noch immer mit den
 Augen eines Thomas von Aquin ein irrationales Wesen, das durch die 
ratio beherrscht und von ihr geführt werden muß; nur eben machten sie 
die Antithese auch dann noch geltend, als die ratio der Herrscher und 
Verfassungen längst von Privatinteressen der regierenden Häuser und 
Klassen geleitet war. Es ist aus zweierlei Gründen wichtig, dies zu 
betonen. 
 Einmal weil sich leicht dartun ließe, daß mit der moralistischen 
Vergröberung des Begriffes malum auch die Höhe der Vernunftdiktatur und 
der ratio selbst sank; sodann weil für Schmitt im Anschlusse an Cortes 
die Antithese eine dogmatisch und auch politisch nicht unbedenkliche 
Schärfe gewinnt. Die Überzeugung, daß der Mensch von Natur böse, 
verworfen, Bestie, Pöbel ist (statt hinfällig, unwissend, schwach und 
emanzipationsbedürftig), diese Auffassung gilt dem konstruierenden 
Staatskünstler der Renaissance und des anschließenden Absolutismus als 
Begründung dafür, daß er die zu organisierende Menschenmenge als ein zu 
bevormundendes, bösartiges Material ansieht, dem gegenüber alle Mittel 
erlaubt sind. Und umgekehrt antwortete die innerstaatliche Opposition 
damit, daß sie die prätendierte Diktatur der rationalistischen 
Staatshäupter und Verfassungen erbittert bekämpft und vice versa dem 
Volk eine instinktive Güte, Vernunft, Ordnung, und schließlich das Recht
 zur eigenen Diktatur erteilt.
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| Pag. 274 | 
Schmitts Auffassung ist die lateinische. Noch 
entschiedener wie Donald und de Maistre trennt er die „irrationalen“ 
Elemente (Nation und Geschichte) von der Vernunft.  Er richtet sich 
sogar gegen den quasirationalistischen Staat, gegen den aufgeklärten 
Legalismus, den er seines Abfalls von der theologischen Autorität wegen,
 als Ausnahmezustand definiert. Nur in einem Punkte bleibt er befangen: 
die moralistischen Thesen über die Natur des Menschen (ob von Natur 
böse, oder von Natur gut) werden ihm in all ihrem fragwürdigen Extrem 
zum Kriterium einer ihm begegnenden Staatslehre. Halten Mably, Rousseau 
und die Anarchisten von Babeuf bis Krapotkin den Menschen, das Volk, das
 Proletariat und sogar das „Lumpenproletariat“ für natürlich gut, ja für
 das Heil der Welt, und sind sie deshalb Irrarionalisten, so erklären 
alle rationalen Geister, und besonders die katholischen 
Staatsphilosophen, den Menschen mit steigender Heftigkeit für blind, 
konfus, verworfen und verächtlich. Gegen Schluß der „Politischen 
Theologie”, wo Schmitt die gegenrevolutionäre Idee des Donoso Cortes 
entwickelt, tritt der Gegensatz der Axiome im Gegensatz von Cortes und 
Proudhon in flagranter weise hervor. Die Opposition hat den Satanismus 
auf ihre Fahne geschrieben; sie kämpft mit der These „der Mensch ist 
gut“ für die Zerstörung der Ideologie. Die Ideologen, und Cortes 
insonderheit, kämpfen mit dem Axiom „der Mensch ist schlimmer als ein 
Reptil“ unter der Fahne Gottes für die Metaphysik.

Die Lehre von der Verworfenheit des Menschen kann in der apodiktischen Form, in der Cortes sie vertritt, kaum überboten werden. 
 Seine Verachtung der Menschen kennt keine Grenzen mehr; ihr blinder 
Verstand, ihr schwächlicher Wille, der lächerliche Clan ihrer 
fleischlichen Begierden scheinen ihm so erbärmlich, daß alle Worte aller
 menschlichen Sprachen niAt ausreichen, um die ganze Niedrigkeit dieser 
Kreatur auszudrücken. Schmitt betont zwar, und dies gilt auch pro domo, 
daß Cortes hier nicht δογματικως, sondern αντιθετικως; verstanden sein 
will, aus der Konsequenz seines Widerstandes gegen die Zeit. Aber er 
gibt zu, daß der legale Despotismus die Erbitterung der Opposition erst 
hervorruft. Er erwähnt auch die konziliantere Auffassung des 
Tridentinums, (der eine emanzipierende, nicht eine zerschmetternde 
Politik entsprechen würde). Wenn der Verfasser aber in seinen späteren 
Schriften die Überzeugung von der natürlichen Güte des Menschen kurzweg 
als eine „anarchistische Lehre“ behandelt, ist dies eine Abkürzung, die 
der formalen Strenge ein Stück von der milderen Wahrheit opfert. Er 
vermag nunmehr auch anarchistisch und irrational zu identifizieren. 
Dostojewskys Naturheilige bekommen einen Dynamitgeruch und Sorels 
irrationaler Reformvorschlag erscheint, der kirchlichen ratio gegenüber,
 lächerlich.
|  | 
| Pag. 275 | 
Die Auseinandersetzung mit Sorel (in „Römischer 
Katholizismus und Politische Form“) nimmt einen für Schmitts knappe Maße
 beträchtlichen Raum ein.  Georges Sorel wollte in einer neuen 
Verbindung der Kirche mit dem „Irrationalismus“ die Krise des 
katholischen Gedankens sehen. Als „irrational“ gilt hier wieder das 
Volk, und zwar das Volk der Syndikate, das rebellische Proletariat, dem 
Sorel eine „force creatrice“ zuschreibt. Man könnte nach Cortes und 
Schmitt der Kirche ebenso gut ein Bündnis mit dem Teufel selbst 
vorschlagen. Schmitts Darlegungen an der betreffenden Stelle sind sehr 
erhellend. Er räumt ein, daß im 19. Jahrhundert alle möglichen Arten 
einer Opposition gegen Aufklärung und Rationalismus die Kirche neu 
beleben. Er erwähnt die Konvertiten aus traditionalistischen, 
mystizistischen und romantischen Tendenzen; auch eine gewisse 
innerkirchliche Unzufriedenheit mit der hergebrachten Apologetik, die 
von manchen als Scheinargumemation empfunden werde. Eine wesentliche 
Bedeutung vermag er indessen der irrationalen Opposition nicht 
zuzugestehen, weil die Vertreter dieser Bewegung vom 
naturwissenschaftlichen Rationalismus ausgehen und übersehen, daß der 
katholischen Argumentation eine besondere an der normativen Leitung des 
sozialen Lebens interessierte, mit spezifisch juristischer Logik 
demonstrierende Denkweise zugrunde liegt. Der Irrationalismus mag den 
abstrakten Staat und das mechanistische Weltbild, er mag die 
„mathematische Mythologie“ bekämpfen; die kirchliche ratio wird davon 
nicht berührt.
IX.

Das
 Irrationale aber kann beide Bedeutungen haben: unvernünftig und 
übervernünftig. Im Staate bezieht sich der Gegensatz von ratio und 
irrational stets auf die Ordnung einer unberechenbaren und deshalb mit 
großer Vorsicht zu behandelnden Staatsmaterie, auf die Masse des Volkes,
 die ihrer Art von Eingebungen, nämlich spontanen Willensimpulsen von 
meist materieller Herkunft und Absicht unterliegt. 
 In der Theologie deutet der Gegensatz auf das Verhältnis des Legalen 
und Institutionellen zu den Eingebungen einer überlegenen, 
schöpferischen, geistigen Art, auf das Verhältnis zum Numinosen, zum 
Heiligen und Wunderbaren, zur Offenbarung. Die gnostischen und 
neuplatonischen Systeme kennen mancherlei Vermittlungsstufen, die den 
übervernünftigen Urgrund mit den rationalen Kategorien, den Stufen der 
Hierarchie verbinden. Bei Dionysius Areopagita ist Gott die Ursonne, die
 alle Stufenreihen der Wesen bis herab zu den materiellsten nicht 
verpflichtend und logisch, sondern liebend und irrational in ihren 
Bannkreis zieht, um sie zu durchdringen. Die Engel, die das „Gesetz“ 
dieser Durchdringung verkünden, die also die ratio der Gebote geben, 
stehen in einem deduzierenden Verhältnis, in einer Distanz zum Urgrund, 
und auch sonst ist in diesem theologisch-philosophischen System, das die
 Scholastik und überhaupt das mittelalterliche Denken unabsehbar 
beeinflußt hat, das Heiligenreich in der Ekstase, das heißt 
übervernünftig, irrational begründet. Die inspirierte und offenbarende, 
die sakramentale und kanonische Welt, die Kirche eben und gerade auch 
ihre hierarchische Konstitution stellen einen übernatürlichen und 
übervernünftigen Organismus dar. Rational wird diese Welt mir in der 
Interpretation; in ihrem Verhältnis zum zeitlichen, materiellen Status, 
der der Vernunft entbehrt. Das sacrificium intellectus, das die Kirche 
ihren Dogmen, Wundern und Sakramenten gegenüber verlangt, bezeichnet den
 Punkt, wo jederzeit die Inferiorität der rationalen Belange gegenüber 
dem Unbegreiflichen postuliert erscheint.
|  | 
| Pag. 276 | 
Dies vorausgeschickt, sehe ich mit Schmitt im 
Verhältnis der Kirche zum „Staat“ ihre Rarionalität und möchte ich 
Schmitt selbst als einen Rationalisten in der staatlichen, als 
Irrationalisten aber in der theologischen Reihe bezeichnen, wobei ich, 
ohne dem Folgenden vorzugreifen, hinzufügen kann, daß Schmitt jene 
rationale Kraft, mit der er den pseudo-rationalistischen Staat 
analysiert und begreift, eben von der irrationalen Größe der Kirche und 
ihren juristischen Normen bezieht.  Einen Widerspruch der Schmittschen 
Schriften könnte man freilich darin finden, daß die theologische Form 
des Systems nicht von Anfang an da ist, nicht aus einem festgegründeten 
Glauben, sondern aus Konsequenzen entsteht; daß der Glaube und die 
Theologie seines Werkes in energischen Folgerungen zwar und mit raschen 
Schritten, aber immerhin doch erst im Verlaufe seines Schaffens errungen
 werden. Die ersten Schriften scheinen außerhalb der Kirche entstanden 
oder wenigstens konzipiert zu sein. Jene eigentümliche Heuristik des 
Stils, die man in seiner soziologischen Methode finden kann, weist 
darauf hin. Eine weitgehende Verachtung der traditionellen Legalität ist
 im Ursprunge zwar ebenfalls „irrational“, aber im Sinne des Organischen
 und des Genies. Daraus entspringt die Schwierigkeit, ihn zu 
systematisieren, eine Schwierigkeit, die erst mit den beiden letzten 
Schriften, »Politische Theologie« und „Römischer Katholizismus und 
Politische Form“ verschwindet.

„Die
 Diktatur“ (1921) ist diejenige von Schmitts Schriften, die den Autor 
zur Kenntnis seines Problems und zur Freiheit führt. Hier, bei dem 
Versuch, die Rechtsformen der reformatio zu erfassen, stößt Schmitt auf 
Entdeckungen, die für seine folgenden Schriften ebenso wie für seine 
Theologie entscheidend werden. 
 Der quasi-rationalistische Naturstaat seit Macchiavelli erscheint als 
eine Revolte gegen den plein pouvoir des religiösen Souveräns, als ein 
Ausnahmezustand. Bei einer unter die Anmerkungen verwiesenen 
Feststellung des Gesetzesbegriffs von Thomas v. Aquin bis Montesquieu 
und Kant begegnet immer wieder, in den verschiedensten 
Staatsverfassungen und Doktrinen, das Wort „Diktatur“. Gesetz ist nach 
Thomas von Aquin ein „dictamen practicae rationis“. Hobbes spricht von 
„dictata rectae rationis“. Nach Locke geschieht im Staate, was „calm 
reason and conscience dictate“. Die Erklärung der Menschenrechte von 
Massachusetts (1780) führt in Artikel II den Begriff „dictates of his 
own conscience“. New Hamphire bekennt sich zu dem unveräußerlichen 
Recht, Gott zu verehren „according to the dictates of his own conscience
 and reason“, und noch Kant spricht von „dictamina rationis“. Regieren 
heißt während der ganzen absolutistischen und jakobinischen Periode eine
 „Vernunftdiktatur“ gegenüber der „incondita et confusa turba“ errichten
 oder aufrechterhalten. Der Diktator selbst, mag er als Kommissar oder 
aus eigener Machtvollkommenheit auftreten, immer charakterisiert ihn, 
daß eine fremde oder seine eigene Souveränität ihm den Auftrag erteilt 
zur Reform, zur Wiederherstellung gesetzlicher Zustände nach einem 
Chaos, in das der Staat geraten war.
|  | 
| Pag. 277 | 
Eine gewisse Verwirrung ist in diesem umfangreichsten
 Buche Schmitts nicht zu verkennen, und es ist interessant genug, ihren 
Grund zu ermitteln. Die Rechtsformen der reformatio sollen erfaßt 
werden, aber es ergibt sich dabei, daß die reformatio einen absoluten 
Souverän, den Papst als Auftraggeber voraussetzt, und daß, was man 
gemeinhin die Reformation nennt, als eine Revolte gegen den religiösen 
Souverän rechtlich gar nicht zu begründen ist.  Ein Gegensatz von 
kommissarischer und souveräner Diktatur wird eingeführt, aber er ist in 
der Form, in der Schmitt ihn vorträgt, unhaltbar. Er läßt nur den Punkt 
erkennen, an dem der Verfasser sich vom natürlichen Irrationale zum 
theologischen wendet. Der vom Papste ernannte Diktator des Mittelalters 
ist Aktionskommissar. Er suspendiert die bestehenden Rechte, um den 
zerrütteten Rechtszustand, den Staat wiederherzustellen. Insofern die 
Wiederherstellung, die reformatio nun im Mittelalter und auch noch in 
späterer Zeit, stets von einem konstituierten Organ ausging, vom Papste 
oder vom Fürsten, könnte man das Kommissariat als eine rationale 
Diktatur bezeichnen. Eine irrationale Diktatur aber läge dann vor, wenn,
 nach Schmitts Definition, „auch jemand, der kein konstituiertes Amt hat
 und nur a deo excitatus ist, die bestehende Ordnung beseitigt“, so daß 
eine Auflösung aller sozialen Form zum Zwecke ihrer höheren 
Wiederherstellung zu erkennen ist. Nur fragt es sich dabei, in welchem 
Sinne diese Diktatur irrational ist, ob im politischen oder im 
theologischen, und mit einem Wort, ob und inwiefern es eine irrationale 
Politik überhaupt geben kann.

Der 
homo a deo excitatus,
 auf den Schmitt abzielt, ist eine den Schriften der protestantischen 
Monarchomachen wohlbekannte Figur; gleichwohl macht Schmitt nur ein 
Beispiel für diese Art individueller Souveränität innerhalb der neueren 
Staatswesen namhaft: Cromwell. 
 „Die puritanische Revolution war das auffälligste Beispiel einer 
Durchbrechung der Kontinuität bestehender staatlicher Ordnung.“ War nun 
Cromwell ein souveräner Diktator, ganz aus der Freiheit geboren, oder 
war er ein Usurpator, der, wenn er sich auch auf Gott bezog, Soldaten 
hinter sich wußte, auf die er sich stützte? Zunächst die Kennzeichen der
 Souveränität, die Schmitt in „Politische Theologie“ (1922) aufzählt. 
„Souverän ist, wer die Befugnis hat, das geltende Gesetz aufzuheben.“ 
„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Der 
Ausnahmezustand besteht „in einer Suspendierung der gesamten bestehenden
 Ordnung“. In seiner absoluten Gestalt ist der Ausnahmefall dann 
eingetreten, „wenn erst die Situation geschaffen werden muß, in der 
Rechtssätze gelten können“. Wichtig ist auch der Satz, daß die 
Souveränität „nicht ein Zwangs- oder Herrschafts-, sondern ein 
Entscheidungsmonopol“ ist. Soweit die rationalen Kennzeichen. Auf die 
irrationalen Beweggründe aber deutet Schmitt damit hin, daß, wie er 
sagt, gerade nur die Ausnahme, der extreme Fall interessiert; denn in 
der Ausnahme „durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste 
einer in Wiederholung erstarrten Mechanik. Umschreibend würde man sagen 
können: es gibt Gestaltungen der Geschichte, in denen das Leben so 
tödlich verstrickt und geknebelt ist, daß eine legale Lösung nicht mehr 
möglich erscheint. Der Lebensstrom kehrt dann in seiner ganzen Fülle zu 
seinem Ursprung zurück und erzwingt sich sein Recht nach höheren 
Gesetzen. Es gibt einen überlegenen Modus und Weg, eine ewige 
Richtlinie, nach denen das Leben auch in Zeiten, die es gefährden, auch 
gegen die staatlichen und legalen Approbationen, zu seinem Rechte 
gelangt. Es ist die gegebene historische Situation für das Hervortreten 
des Heiligen, oder um im Politi sehen zu bleiben, des homo a deo 
excitatus. Ein Wunder muß geschehen, und das Wunder wird wieder 
geglaubt.
|  | 
| Pag. 278 | 
Aber Wunder und Politik — wie vertragen sie sich? 
Gibt es politische Heilige, homines a deo excitati, die merkantile und 
kriegerische Aktionen leiten? Vermag das Irrationale in direktem 
Hervortreten die Politik eines Landes zu leiten? Ist eine souveräne 
Diktatur innerhalb des Staates überhaupt möglich? Cromwell ist ohne 
Zweifel ein Usurpator, schon deshalb, weil er wütend gegen die Kirche 
auftrat.  Gewiß, er berief sich auf irrationale Motive, er sah den Quell
 seiner Gewalt in Gott und machte seine Souveränität nicht vom Volke im 
Sinne der radikalen Demokraten seiner Zeit abhängig. Er läßt niemals 
einen Zweifel darüber, daß vor Gott jede weitere irdische Instanz 
relativ wird oder schwindet. Aber die physische Macht stand hinter ihm, 
während er sprach, und nicht das Wunder. Glückliche Handelsverträge 
begünstigten ihn, nicht Traumgesichte und Inspirationen göttlicher Art. 
Enfin, er ist ein Ketzer. Niemals wird er kanonisch werden, er war kein 
Souverän. Und so nötigt die Konsequenz zu der Aussage, daß Schmitt in 
diesem Buche noch an eine Souveränität außerhalb der Kirche glaubt, 
während man als römischer Katholik an dem Satze festhalten muß, daß 
innerhalb der Politik nur eine kommissarische Diktatur irrational zu 
begründen ist; dann nämlich, wenn eine irrationale Macht den Auftrag 
erteilt einem Instrumente, das mit rationalen Mitteln die höheren 
Absichten der auftraggebenden Macht in die Wege leitet. Der homo a deo 
excitatus oder der Heilige in der politischen Auffassung der 
puritanischen und deutschen Reformation ist ein Rebell, der nicht an den
 Friedensfürsten, sondern an den Kriegsgott glaubt und der seine 
politische Mission mit dem Wohlstände der Nation ausweist. Der Heilige 
und die Staatsgeschäfte schließen einander aus, solange nicht ein 
universaler Glaube herrscht. Das Irrationale kann niemals in direkten 
Bezug zum Staate treten. Das ist der Sinn der Kirche als Institution und
 der kommissarischen Diktatur. Der souveräne Diktator ist nur innerhalb 
der Kirche zu begründen.
X.
|  | 
| Pag. 279 | 
Der Versuch einer analogen Anwendung der Antithese 
auf das Verhältnis von kommissarischer und souveräner Diktatur mußte 
mißlingen, solange Schmitt noch wie in „Diktatur“ an den 
übervernünftigen, ekstatischen Belang eines kirchenfeindlichen 
Individuums und an eine individuell begründete Souveränität überhaupt 
glaubte.  In „Diktatur“ unterliegt Schmitt noch den Anschauungen der von
 ihm später so heftig bekämpften, materiellen Irrationalisien à la 
Sorel. Es verraten sich gewisse antimechanistische Instinkte, die auf 
den modernen Ausgangspunkt verweisen. Doch hindert dies nicht, daß der 
Gegensatz von kommissarischer und souveräner Diktatur besteht, wenn er 
auch, um konkret zu bleiben, nur auf das Verhältnis des päpstlichen 
Aktionskommissars zu seinem Auftraggeber angewandt werden kann. Und 
ebenso vermochte Schmitt überraschend neue Kennzeichen der Souveränität 
zu definieren, ohne daß er plausibel machen konnte, wie ein Hervortreten
 des homo a deo excitatus außerhalb der Kirche, oder gar, wie im Falle 
Cromwells, im heftigsten Widerspruche mit ihr, solle möglich sein, ohne 
in praxi zu einer Verwirrung aller Rechts- und Moralbegriffe zu führen.

Nun
 wird in der ein Jahr später erscheinenden „Politischen Theologie“ der 
Souveränitätsbegriff weiter verfolgt, und diese Schrift verlegt, wie der
 Titel schon sagt, den Souveränitätsbegriff ausschließlich in die 
Theologie. Daß die Souveränität kein „Zwangs- oder Herrschafts-, sondern
 ein Entscheidungsmonopol“ ist, garantiert diese Wendung und schließt 
alle ferneren Mißverständnisse aus. 
 Als Kennzeichen der Souveränität erscheint jetzt die schon erwähnte 
Befugnis, das geltende Gesetz aufzuheben. Diese Befugnis kann ihrem 
Sinne nach nur einer der Politik überlegenen geistigen Macht zustehen, 
die ein höheres als das politische Gesetz zur Geltung bringt. Wenn 
Schmitt sich auf Bodins „Vraies remarques de souveraineté“ (Kap. X des 
I. Buches der Republik) bezieht und es als Bodins Leistung und Erfolg 
bezeichnet, daß er die Dezision in den Souveränitätsbegriff 
hineingetragen hat, so erinnert man sich, daß Bodin eigentlich nur eine 
kommissarische Diktatur kannte (die die Souveränität des Auftraggebers 
voraussetzt), aber keine souveräne Diktatur. Eine souveräne Diktatur 
übte damals und übt auch heute noch de facto nur der Papst aus, dem sie 
von den Konzilien übertragen ist; wobei man streiten kann und lange 
gestritten hat, ob diese Diktatur zu Recht besteht, oder in welchem 
Sinne sie zu Recht besteht. Dies ist das Problem der kirchlichen 
Unionsbestrebungen.

In
 „Diktatur“ ist Schmitt sein Personalismus gefährlich geworden, ebenso 
wie de Maistre der Begriff des „legitimen Usurpators“ gefährlich wurde. 
 Aber die gewaltige begriffliche, die erschöpfende wissenschaftliche 
Leistung dieses Buches scheint ihm die Dinge in einem neuen, demütigeren
 Lichte zu zeigen. Er verbindet das Problem der Souveränität jetzt mit 
dem der Rechtsform überhaupt, und das schließt eine individuelle Lösung,
 wie sie das Diktaturbuch für möglich hielt, aus; es sei denn, daß das 
Individuum und die höchste, ideologische Instanz zusammentreffen, was 
man von Cromwell, Münzer, Mazzini und anderen individuellen Versuchen, 
eine souveräne Diktatur außerhalb der Kirche zu errichten, nicht 
behaupten kann.
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| Pag. 280 | 
Der Begriff der Persönichkeit gewinnt in Schmitts 
Werk mit jeder neuen Schrift höhere Bedeutung. Ich wies bereits darauf 
hin, wie sehr bei diesem Ideologen das wissenschaftliche und das 
persönliche Problem verbunden sind.  Wer seiner eigenen Person Dauer zu 
verleihen sucht, muß auf die Identität seiner Äußerungen bedacht sein. 
Würde und Wert der Person sind anders nicht zu behaupten. Trifft diese 
Überzeugung mit einem Hang zum Absoluten und Definitiven zusammen, so 
begegnet die religiöse Persönlichkeit, die ein “ewiges Leben“, die 
Unsterblichkeit, ein über den Tod und den Zufall erhabenes Sein 
erstrebt. Ich nannte diese Einstellung eschatologisch, kätholisch, und 
möchte, falls man hierüber weiteren Aufschluß sucht, auf ein Buch des 
Spaniers Miguel de Unamuno verweisen, das wenig bekannt ist. * Das 
Verhältnis der Person zur Wirklichkeit und zum Jenseits, oder nach 
Schmitt zum Staat und zur Rechtsform macht nahezu den Inhalt der 
„Politischen Theologie“ aus. Eine Diktatur ist ohne eine bestimmende 
Persönlichkeit nicht denkbar, eine Repräsentation von Würde und Wert 
ebensowenig. Wie es keine Form, ja nicht einmal eine Wirklichkeit ohne 
eine Entscheidung gibt, so wenig ist eine Entscheidung ohne eine Person,
 die entscheidet, möglich. Aus der absoluten juristischen Form ist nach 
Schmitt die Persönlichkeit nicht hinwegzudenken: „In der Eigenbedeutung 
des Subjekts liegt das Problem der juristischen Form.“
*„Le sentiment tragique de la vie“ (Paris 1917), chap. IV, L’essence du catholicisme.

Kapitel
 II der „Politischen Theologie“ setzt der Verfasser sich über das 
Formproblem mit der neueren deutschen Rechtsphilosophie auseinander. Ein
 energischer Personalismus verdeutlicht dann den Abstand, in dem sein 
System zu dieser unserer Zeit steht, deren anonyme, unpersönliche 
Physiognomie eine autonome Besinnung nahezu ausschließt. Kelsens Lehre, 
wonach der Staat die Rechtsordnung selbst ist, kann Schmitts 
theologischer Einsicht so wenig emsprechen, wie die Krabbes, wonach der 
abstrakte Staat selbst souverän ist. 
  „Das Rechtsinteresse ist nicht das höchste Interesse“, das der 
metaphysischen Person steht höher. Erich Kaufmanns „Kritik“ der 
neukantianischen Rechtsphilosophie“ (und ihrer sterilen Abstraktionen) 
erscheint als „die jeinzige Äußerung einer neuen, geistigen Intensität“.
 Kaufmann treibt nicht erkenntnistheoretische Spiegelfechterei, sondern 
Geschichtsphilosophie. Er folgt den gegebenen Fakten, statt 
Abstraktionen sich über den Kopf wachsen zu lassen. Er stellt den Staat,
 nicht das Recht in den Mittelpunkt kritischer Betrachtung. Der in 
Begriffsklitterungen befangene Neukantianismus vermag das anstürmende 
Leben nicht zu bändigen. Kaufmann warnt davor, den Rest von 
Irrationalität zu vergewaltigen, der sich rationaler Formulierung noch 
entzogen hält; doch irrational heißen hier wieder die Lebenskräfte ganz 
allgemein, nicht die Gründe der ratio. So endet auch Kaufmanns Kritik 
beim Problem der obersten Form, ohne daß deutlich würde, worin diese 
Form denn nun beschlossen läge.
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| Pag. 281 | 
Schmitt hat seinem Vorgänger gegenüber den Vorteil 
seiner katholischen Schulung und seines leidenschaftlich ideologischen 
Temperaments. Die objektive, unpersönliche, abstrakte Auffassung der 
Form (Kelsen, Krabbe, Preuß), die eine anonyme, formalistische Autorität
 an den Anfang der Dinge setzt, diese Auffassung erfährt eine kräftige 
Abfuhr. Recht ist dort, wo entschieden wird; wo inappellativ entschieden
 wird, ist der Souverän, und wo die Entscheidungen des Souveräns 
hervortreten, ist der Ausnahmezustand.  Das sind klare und höchst 
lebendige Definitionen, die beim stilistischen Rang des Autors nicht nur
 juristische, sondern allgemeine Bedeutung haben. Wenn es die besondere 
Aufgabe des Philosophen ist, Spannungen innerhalb der Denkwirtschaft 
seiner Zeit zu erzeugen, so ist hier eine Krisis in den 
Herrschaftsbegriffen heraufbeschworen, die man nicht unterschätzen darf;
 denn: „alle Tendenzen der modernen staatsrechtlichen Entwicklung gehen 
dahin, den Souverän in diesem (theologischen und ideologischen) Sinne zu
 beseitigen“.
XI.
Es
 fehlt aber noch das wesentlichste Element der Rechtsform, ihre 
universale Verbindlichkeit. Was Schmitts Rechtslehre zur politischen 
Theologie stempelt, ist die eigenartige Einführung und Anwendung einer 
von ihm meisterhaft gehandhabten Analogie zwischen politischer und 
theologischer Norm, zwischen Theologie und Jurisprudenz. 
 Bei seinen ideen-geschichtlichen Untersuchungen ergibt sich die 
merkwürdige Tatsache, daß die staatsrechtlichen Konstruktionen der 
Legislateure jeweils den metaphysischen Konstruktionen der Denker 
entsprechen. Dieses „Gesetz“, diese Analogie gewinnt in Schmitts Händen 
den “Wert einer unfehlbaren Methode, wo es gilt, den Sinn sowohl einer 
politischen Doktrin wie einer ihr übergeordneten metaphysischen Notion 
zu erschließen. Die Existenz solcher Analogie kannten schon Descartes 
und Leibniz. „Merito partitionis nostrae exemplum“, so äußerte sich der 
letztere, „a theologia ad jurisprudentiam transtulimus, quia mira est 
utriusque facultatis similitudo“. Bei Schmitt führt die Analogie, 
nachdem sie erst nur der historischen Erkenntnis diente, zuletzt zur 
Feststellung der Theologie als der obersten Form der Jurisprudenz, 
insofern deren Begriffe samt und sonders in der Theologie beschlossen 
sind und aus ihr hervorgehen. „Alle prägnanten Begriffe der modernen 
Staatslehre“, heißt es im III. Kapitel der „Politischen Theologie“, 
„sind säkularisierte theologische Begriffe. Nicht nur ihrer historischen
 Entwicklung nach, weil sie aus der Theologie auf die Staatslehre 
übertragen wurden, indem z. B. der allmächtige Gott zum omnipotenten 
Gesetzgeber wurde, sondern auch in ihrer systematischen Struktur, deren 
Erkenntnis notwendig ist für eine soziologische Betrachtung dieser 
Begriffe.“
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Was ist das: soziologische Betrachtung der 
Rechtsbegriffe? Es ist das Bestreben, die geschichtlichen Formen der 
Rechtsbegriffe zu ihrer Herkunft zurückzuverfolgen und daraus Schlüsse 
zu ziehen auf die absolute Rechtsform. Es ist der Versuch, von der 
geschichtlichen Wirksamkeit aus und nicht abstrakt, zum Absoluten zu 
gelangen.  Insofern setzt eine Soziologie der Rechtsbegriffe eine 
„konsequente und radikale Ideologie“ voraus. Nur daß die Ideologie eben 
konkret eingesetzt wird und sich durch das geschichtliche Material 
hindurchzuarbeiten sucht; sie geht von den historischen Gestaltungen und
 Erscheinungsformen aus. Der Philosoph, der solche Soziologie betreibt, 
verdankt seine Resultate einer „radikalen Begrifflichkeit, das heißt 
einer bis zu Theologie und Metaphysik getriebenen Konsequenz“. Die 
erwähnte Analogie ist ein Werkzeug solcher soziologischer Betrachtung, 
und zwar ihr vornehmstes Werkzeug. Mit ihr durchdringt der Philosoph die
 ihm begegnenden Systeme, von ihr aus konstruiert und begreift er sie. 
Die Frage nach den Tatsachen und der Struktur eines Systems wird zuletzt
 immer zur Frage nach der bewußten oder unbewußten Theologie, die das 
System beherrscht. Erst wenn der Gott oder Götze gefunden ist, dem 
vertraut und geglaubt wird, gilt ein System, eine Zeit, für begriffen. 
Die Sprache Gottes, die Theologie, ist höchster Begriff, nicht nur der 
Jurisprudenz, sondern auch der Kunst, der Politik, der Person, ja der 
Zahl und der Zeit.

Neben der Antithese von 
ratio
 und irrational ist die juristisch-theologische Analogie das 
wesentlichste Strukturprinzip der Schmittschen Schriften. Genau besehen 
aber sind beide Prinzipien ein und dasselbe. 
 Denn die Theologie verhält sich zur Jurisprudenz — das meint auch die 
partitio nostra des Leibniz — wie das Irrationale höheren Sinnes sich 
zur ratio verhält. Auch in diesem Zusammenhange knüpft Schmitt an 
Resultate der „Politischen Romantik“ von 1919 wieder an. Dort hatte er 
die Analogie zum ersten Male erwähnt und verwertet. „Diktatur“ war ein 
Abweg, oder sie ist schon vor dem Romantikbuche entstanden. In 
„Diktatur“ stimmte die Antithese mit der Analogie nicht überein; das 
führte zu einer Verwirrung der Grundbegriffe. Die Einheit des 
Schmittschen Werkes beruht in der Erhellung der Vernunftbeziehungen zum 
Übervernünftigen als ihrem Formprinzip. Diese Beziehungen aber sind 
akkurat die Beziehungen der Jurisprudenz zur Theologie, und nicht wie in
 „Diktatur“ die Beziehungen der Jurisprudenz zur Willkür einer 
Usurpation.

Ich
 möchte nicht unterlassen, in aller Kürze einige Beispiele der Analogie 
anzuführen. In „Politische Romantik“ zeigt Schmitt, weshalb der typische
 Romantiker die Wirklichkeit nicht zu begreifen vermag. 
 Er ist dazu außerstande, weil er die höchste begriffliche Realität, 
diejenige Gottes, durch zwei Pseudo-Realitäten, Gemeinschaft und 
Geschichte, ersetzt sieht, die er als Autoritäten empfindet, ohne daß 
sie es seien. Der Romantiker, das Genie der Zeit, dessen Aufgabe es 
wäre, die Zeit zu begreifen und zu gestalten, sieht sich der völligen 
Unmöglichkeit gegenüber, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Er ist zur 
Impotenz, zur endlosen Diskussion, zu einer haltlosen Rhetorik 
verurteilt. Er sucht seine Freiheit im skeptischen oder ironischen 
Konsentement, in wohlfeilen Sophismen. Er vermag das Problem weder zu 
entscheiden, noch zu realisieren, weil ihm der höchste Begriff, die 
Realität Gottes, zerstört ist. Darum aber vermag Schmitt seinerseits die
 Romantik in einer so eminenten Weise zu begreifen, weil ihre politische
 Situation ihn zu ihrer metaphysischen und theologischen Struktur führt,
 wo sich denn die Konflikte dieser Bewegung in universaler Vielfalt 
erschließen.
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Ein anderes Beispiel aus der „Diktatur“. Descartes 
Metaphysik lehrte, daß Gott nur eine volonté générale habe, und daß 
alles Partikuläre seinem Wesen fremd sei.  Rousseaus Gesetzgebung 
fordert analog, daß das Individuum auf alle seine Sonderrechte zugunsten
 der volonté générale als omnipotentem staatlichem Faktor zu verzichten 
habe, um von der volonté générale seine Rechte als generelles Gesetz 
wiederzuerhalten. Der Begriff des Legislateur selbst ist bei Rousseau 
dergestalt definiert, daß seine Wirksamkeit etwa dem Anstoß jener 
okkasionellen Ursachen entspricht, die bei Malebranche in der 
metaphysischen Reihe als die lois générales von Gott in Bewegung gesetzt
 erscheinen. Aus den Naturgesetzen aber, wie Descartes, Malebranche und 
Leibniz sie entwickeln, sind dann bei Holbach bereits „Gesetze der 
wirtschaftlichen Entwicklung“ geworden, denen der Staat sich zu 
unterwerfen habe.

In Schmitts letzter Schrift „Römischer Katholizismus und Politische Form“
  findet sich der abschließende Satz, daß ein mechanistisches Zeitalter 
sich das höchste Wesen überhaupt nur außerhalb der Dinge als allgemeinen
 Beweger, als Monteur und Installateur der kosmischen Maschine denken 
könne, und in derselben Schrift begegnet die wichtige Feststellung der 
Religion einer modernen europäischen Gesellschaft, die eine Religion der
 Privatsache und des Privateigentums genannt wird.
XII.
Es
 ist immer wieder überraschend, wie sehr bei Schmitt die typische 
Fragestellung des Thomismus nachwirkt oder wiederauflebt; jenes ganz zur
 Erfahrung geneigten mittelalterlichen Systems, das die Irrationalität 
der Dogmen verteidigte, indem es zu zeigen versuchte, daß die 
Übervernünftigkeit dieser Dogmen nicht eben widervernünftig, oder gar 
unvernünftig zu sein brauche, und das alle Kräfte der ancilla 
philosophia darauf verwandte, die Verbindungen von Übervernunft und 
Vernunft, von Theologie und Philosophie, von Heilig und Profan 
abzugrenzen. 
— Auch in „Römischer Katholizismus und Politische 
Form“ steht das Problem der ratio im Mittelpunkte der Gestaltung, einer 
sehr kunstvollen Gestaltung, die so sehr gelungen ist, daß die 
wissenschaftliche Frage auch stilistisch ins theologische Geheimnis 
mündet. Schon der Titel zeigt das oben konstatierte Gegensatzpaar von 
Theologie und Politik; nur ist der Gegensatz jetzt in die absolute 
Sphäre gehoben. In dieser Sphäre wird aus der Theologie ein »Römischer 
Katholizismus« und aus der Politik die „Politische Form“. Um es 
vorwegzusagen: es ist auch der andere Gegensatz von Irrational 'und 
Rational, mit der radikalen Zuspitzung, daß beide Antithesenglieder 
jetzt in die Theologie verlegt sind: insofern nämlich dem „Römischen 
Katholizismus“ auch die rationale Formkraft der Politik gegenüber 
zuerteilt wird. Mit anderen Worten: die römische Kirche hütet die 
Irrationalität und gelangt bei der Erfassung und Normierung des 
materiellen Status zur Ausprägung der rationalen Formen.
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Ratio heißt im Lateinischen nicht nur 
Vernunft, sondern auch Rechenschaft, Aufschluß, Maß, Gesetz und Methode.
  Ratio ist allgemein genommen ein Sichverhalten einer Sache oder Person
 zu einer anderen, der Aufschluß über die Beschaffenheit eines 
Phänomens, und ebenso hat das Wort die Bedeutung von „Einrichtung“ 
überhaupt. Vernehmen kann die Vernunft schließlich nur, was ihr 
verkündet wird, und so könnte man sagen, daß die kirchliche ratio sich 
nach oben auf die Offenbarung und nach unten auf den Staat bezieht. Wie 
dem auch sei; die ratio setzt ihrem Wesen nach die repraesentatio 
voraus, als welche, um bei dieser grammatischen Pedanterie noch ein 
wenig zu verweilen, die Vergegenwärtigung, die bildliche Darstellung 
einer Sache bezeichnet und ihrer Natur gemäß Gegenstände unbildlicher, 
immaterieller, ideologischer, irrationaler Art umfaßt. Das sind die 
Grundbegriffe, um die der Lateiner Carl Schmitt seine Schrift gruppiert,
 und zwar läßt er sie seiner Antithese getreu vom Verhältnis der ratio 
zu repraesentatio handeln, ein scholastisches Thema, das hier im 
konkreten Gewände heutiger Prägung erscheint.

Daß
 die soziologische Konsequenz zum römischen Katholizismus führen mußte, 
kann bei dem retrospektiven Bestreben dieser Methode nicht überraschen. 
 Alle Begriffe der Legislative und Metaphysik, die im europäischen 
Geschichtsverlauf der letzten Jahrhunderte hervortraten und auf die 
Gestaltung der Gesellschaft Einfluß gewannen, gehen auf die 
mittelalterliche Suprematie der römischen Kirche und weiterhin darauf 
zurück, daß diese Kirche, wie Schmitt sagt, „im größten Stile die 
Trägerin juristischen Geistes und die wahre Erbin der römischen 
Jurisprudenz“ ist. Das Verhältnis ihrer überrationalen Einsichten zum 
Staat zu bestimmen, ist ihr spezifischer Beruf, seit die Nachfolger 
Petri das Brückenamt des akrömischen Pontifex maximus übernahmen. Nicht 
als ob es seitdem kein römisches Recht außerhalb der Kirche gebe: aber 
so gewiß der griechische Areopag die oberste Kult- und Rechtsbehörde 
zugleich war, so gewiß war es der altrömische Pontifex maximus, und ist 
es der christliche.

Die 
ratio
 ist die Brücke vom konkreten Gott zum konkreten Volk, .und nicht etwa, 
wie in den sogenannt rationalistischen Werken die Brücke von einer 
skeptischen und abstrakten Philosophie zu einer dämonischen 
Wirklichkeit. 
 Die ratio setzt den Glauben an Realität Gottes und eine Repräsentation,
 eine Vergegenwärtigung dieses Glaubens voraus. Der Rationalismus der 
Kirche beruht nach Schmitt „im Institutionellen“, in einer „spezifisch 
formalen Überlegenheit über die Materie des menschlichen Lebens“. Der 
katholischen Argumentation liegt eine „besondere, an der normativen 
Leitung des sozialen Lebens interessierte, mit spezifisch juristischer 
Logik demonstrierende Denkweise“ zugrunde, und diese formale Eigenart 
des römischen Katholizismus „beruht auf der strengen Durchführung des 
Prinzips der Repräsentation“. Der Papst ist nicht der oberste Prophet, 
sondern der Stellvertreter, der Vikar Christi; er repräsentiert die 
abwesende, ekstatische, irrationale Person Christi, repräsentiert die 
Gemeinschaft der (in der Ekstase abwesenden) Heiligen, den Leib Christi,
 die Kirche. „In solchen Distinktionen“ (nicht Prophet, sondern 
Stellvertreter), sagt Schmitt, »liegt die rationale Schöpferkraft der 
Kirche«. In der Repräsentation liegt ihr Wille zur Verantwortung, ihre 
publizistische Form, im Gegensätze zu all den Religionen, deren 
Überzeugung Privatsache ist.
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Im römischen Katholizismus sieht Schmitt die 
juristische, politische, ja die ideologische Form überhaupt und damit 
alle höheren Kategorien der europäischen Zivilisation garantiert.  Die 
formalen Zusammenhänge sind aus dem Vorhergehenden ohne weiteres klar. 
Inhaltlich aber erklärt sich die Stellung, die Schmitt der römischen 
Kirche zuweist, aus ihrer Kraft zur Repräsentation. „Sie repräsentiert 
die civitas humana, repräsentiert in jedem Augenblick den historischen 
Zusammenhang mit dem historischen Augenblick der Menschwerdung und des 
Kreuzesopfers Christi, sie repräsentiert Christus selbst“, mit allen 
Attributen, so könnte man hinzufügen, die das Credo ihm gibt, worunter 
die juristischen Attribute einen entscheidenden Rang einnehmen. Denn 
nach dem Credo leidet Christus unter Pontius Pilatus, das heißt die 
irrationale Person leidet unter der Politik, und nach dem Credo kommt 
Christus zu richten die Lebendigen und die Toten: die irrationalia und 
die rationalia, wenn man mit Baco von Verulam unter den Lebendigen die 
Theologie und unter den Toten die Philosophie verstehen darf.

Es
 ist kein Zufall, wenn Schmitt gegen Sorel die lebendige Eschatologie 
einiger neueren Katholiken (Veuillot, Bloy, Cortes, Robert Hughes 
Benson) verteidigt. Er hätte an dieser Stelle vor allem auch auf die 
Heilig- und Seligsprechungen der letzten Jahrzehnte hinweisen können, in
 denen die von Sorel bestrittene „mythologische“ Vitalität der Kirche 
und ihr Gericht kanonisch zum Ausdruck kommen. 
 Die Eschatologie ist mit den Fragen der Repräsentation, wie Schmitt sie
 behandelt, aufs engste verbunden. Die repraesentatio entspringt dem 
Streben nach Dauer und Endgüliigkeit. Institutionen ist sie die 
Gegenwart über den Tod hinaus und in ihrer Spitze die Allgegenwart. 
Unamuno in seiner Philosophie des Irrationalen erklärt den (der 
Repräsentation zugrunde liegenden) „soif d'immortalité“ für die 
eigentlich christliche und katholische Entdeckung. „Quid ad 
aeternitatem? Voilà la question capitale. Specifiquement religieux dans 
le catholicisme c’est l’immortalisation et non la justification à la 
manière protestante.“ Die institutionelle Repräsentation ist die 
Vergegenwärtigung der Immortalität: der Dauer. Sie gibt dem römischen 
Katholizismus jenes „Pathos der Autorität“, das Schmitt als ihre 
politische Macht bezeichnet, jene Würde und Überlegenheit über den 
politischen und sozialen Zufall. Darum kann sie jederzeit zur Quelle 
neuen Rechts werden, weil jede neue politische Konstellation ihr Gesetz 
und ihr Maß nur vom Absoluten beziehen kann. Die Dauer, wc sie 
repräsentiert wird, entscheidet; denn (mit Unamuno zu sprechen) „qu’y 
a-t-il de plus utile. de plus souverainement utile, que d’avoir une âme 
destinee à ne jamais mourir?“ Und so ist in den repräsentativen Formen 
des römischen Katholizsmus auch jenes Pathos der Entscheidung enthalten,
 das Schmitt in früheren Schriften als „souveräne Diktatur“ bezeichnete.
 Diese Welt des Repräsentativen ist es, die der Kirche ihre Kraft zur 
dreifach großen Form gibt: „zur ästhetischen Form des Künstlerischen, 
zur juridischen Rechtsform und endlich zu dem ruhmvollen Glanz einer 
weltgeschichtlichen Machtform“.
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Jene Impulse aber, die den »antirömischen Affekt« 
beleben, enthüllen sich damit in ihrer Konsequenz als normfeindlich, als
 abhold der politischen Verantwortung wie der künstlerischen Gestalt. 
 Mit welchen Gründen immer sie die ratio der Kirche bestreiten, umgehen,
 oder in ein »höheres Dritte« aufzuheben versuchen, sie sind gegen die 
metaphysische Würde, gegen den Heroismus des Menschen gerichtet. Sie 
treiben zur Willkür, oder zu einer unkontrollierbaren Mystik, zum 
Vorbehalt eines privaten Gewissens, oder zur Verneinung der Autorität. 
Die Gegner mögen mit Rudolf Sohm in der Juristik der Kirche ihren 
eigentlichen Sündenfall sehen, oder mit Dostojewsky einen indischen 
Schauder vor Macht und Gesetz empfinden; sie mögen mit der Freimaurerei 
die übernatürliche Institution als inhuman befehden, oder mit Bakunin 
und Marx die Ideologie selbst beseitigen wollen; gemeinsam bleibt allen 
diesen Gegnern die Abneigung gegen die rationale Formkraft des 
Absoluten. Diese aber erweist nach Schmitt gerade darin ihre Humanität, 
daß sie nicht anders als in der Verwirklichung, in der 
Selbstdarstellung, die übervernünftigen Werte sichtbar machen und zur 
Geltung bringen kann. Alle jene Gegner arbeiten dem modernen norm- und 
formfeindlichen Verbrauchsstaat in die Hände, wie wenig sie eine so 
fatale Allianz suchen mögen und mit welchen Sophismen immer sie ihr zu 
entgehen bestrebt sind. Das ist dagegen die große Bedeutung der Kirche, 
daß sie zur Repräsentation auch diejenigen einlädt, an die sie sich 
wendet, sei es das einzelne Individuum, oder die formierte Gesamtheit 
der Individuen, der Staat.

Damit sind wir beim Ausgangspunkt wieder angelangt: beim Gegensätze des Ideologen zum modernen mechanisierten Konsum. 
 Der kapitalistische Industriestaat von heute wie der sozialistische von
 morgen, beide kennen und anerkennen weder Form noch Repräsentation; sie
 haben nicht einmal die Kraft zu einer eigenen Sprache. Sie sind auf 
Bedürfnissen aufgebaut, die identisch sind mit dem Nichts. Ihr 
fatalistisches Ziel ist ein sich selbst regierender, selbst 
regulierender Ablauf von Wirtschaftsprozessen. Mit einem Automaten aber 
ist keine persönliche, politische, ideologische, keine vernünftige 
Verbindung möglich. Solange sich dieser Staat mit erstaunlicher Inbrunst
 im Widervernünftigen aufhält, kann ihn eine Vermittlung 
übervernünftigen Werte kaum interessieren. Doch die Kirche kann warten. 
„Sub specie ihrer alles überlebenden Dauer wird sie die complexio alles 
Überlebenden sein.“
Fonti iconografiche e sonore:
1. 
Hugo Ball: Flight Out of Time
2. 
artesonoro. E’ possibile ascoltare il sonoro della celebre poesia di Hugo Balla “Karawane”.
3. 
Dada - The AntiWar Art Movement.
4.
 Hugo Ball.
  Studiò dal 1906 al 1910 germanistica, sociologia e filosofia in 
Munchen e Heidelberg. Scheda biografica del Projekt Gutenberg-DE.
5.
 Myspacemusic.
 
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